Original

7. Oktober 1923

Also ich warne Sie, liebes Kind, wenn Sie noch einmal „momentan“ sagen, künde ich Ihnen die Freundschaft.

„Momentan“ ist ein schreckliches Wort. Es ist eines der Wörter, mit denen Ladenschwengel Bildung vortäuschen wollen. Grade, wie sie sich ein grünseidenes Tüchlein in die auswendige Brusttasche drapieren, um glauben zu machen, sie schneuzen sich nur in Seide.

Ich kann es zur Not vertragen, wenn ich Hosenträger kaufen will und der junge Mann sagt: Ich bedaure, momentan ist die Sorte nicht auf Lager, aber sie ist bestellt, muß jeden Tag kommen. Oder wenn in der Kammer jemand ausführt, daß momentan die Preise zu hoch sind und wir darum keine neue Hebammenanstalt bauen können. Das kann man, wie gesagt, schließlich verwinden. Aber ich ging gestern im Park spazieren und hörte das schreckliche Wort von einem lieblichen Lippenpaar. Das war zum Dreinschießen. Er und Sie kamen unter dem Laubgang eines Seitenpfades daher, Er hatte grade mit verliebtem Ungeschick nach Ihrer Hand gefaßt, die Sie ihm errötend entzogen hatte. Um das weltvergessene Paar war der milchige Dunst der süßen „blöden Jugendeselei“. Er schien Ihr grade eine Frage gestellt zu haben, die Schicksalsfrage, die über Himmel und Hölle entscheidet. Sie schlug gschamig die Augen nieder, nestelte an ihrer Bluse ... grade gingen sie an mir vorüber, da hörte ich Sie sagen: „Momentan noch nicht.“

Da war es, das Entsetzliche. Sie hatte „momentan“ gesagt, und die ganze Poesie war zum Teufel, aus Romeo und Julia waren zwei prosaische Menschenkinder geworden, die mitten im süßen Spiel der Minne aussahen, als ob sie Fliegen fingen, als ob sie ihre heiligsten Gefühle mit der Elle mäßen.

Darum, liebes Kind, dürfen Sie nie wieder „momentan“ sagen.

Stellen Sie sich zum Beispiel einmal vor, Sie sollten zur Laute das liebe alte Liedel singen: Jetz gang i ans Brünnele, trink aber net - und statt dessen sängen Sie: Momentan gang i ans Brünnele .... Momentan weiß i net, lebt mein herztausiger Schatz - oder ist er tot?

Ich habe gut predigen. „Momentan“ ist stärker, als ich. Es ist von dem unwiderstehlichen Zauber der Mode umwittert. Jede will es tragen. Ich glaube, eher gelänge es mir, eine zum platten Absatz oder zum Straßenschlepprock zu bekehren, als daß ich ihr beibringe, auf „momentan“ zu verzichten. Das Wort inkrustiert sich in die Rede, wie ein Zeck in die Haut. Es lauert im Hinterhalt, bis sich eine Stelle zeigt, wo es zubeißen kann. Es ist im Klang zu verlockend. Die letzte Silbe schmilzt einem im Mund, wie ein Schokolade-Praliné. Und es adelt die Lippen, von denen es fließt. Momentan, ma chère!

Also, liebes Kind, noch einmal „momentan“, und zwischen uns ist alles aus!

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KatalognummerBW-AK-011-2477