Original

9. Oktober 1923

Ein feuilletonistischer Mitarbeiter der „Obermosel-Zeitung“ veröffentlicht Erinnerungen an seine Jahre in den Büros der Regierung.

Diese Zentralverwaltung, die im alten Refugium Sancti Maximini untergebracht ist, war früher, vor der Zeit, auf die sich jene Erinnerungen beziehen, ein Ding für sich. Es war die einzige im Land, für die eine Fach-Spezialisierung nicht vorgesehen war. In der Post, in der Steuerverwaltung, dem Zoll, dem Enregistrement usw. wurde immer vorausgesetzt, daß die Mitarbeiter die einschlägige Materie sich in mehr oder weniger gründlicher Weise zu eigen gemacht hatten. In der Regierung gab es keine Spezialität, weil dort alles aus den andern Verwaltungen zusammenlief. Eine Hauptaufgabe bestand darin, die Behörde ausfindig zu machen, der ein bestimmter Gegenstand zur fachgemäßen Bearbeitung zu überweisen war. Die Kunst des Regierungsbeamten war zu einem großen Teil die Kunst des brevi manu. Dies allumfassende b. m. hing jedem Bürochef von St. Maximein zuvörderst in der Feder.

Demgemäß hatte sich dort mit den Jahren ein Sammelsurium von Originalen zusammengefunden, das dem Wort Refugium eine ganz eigene Bedeutung gab. Wer sonstwo nicht unterkommen konnte, fand mit einiger Protektion immer noch eine Stelle als Kommis in der Regierung. Es war die reine Cour des miraoles von Sonderlingen älterer Semester. Da gab es einen, der ein tief wurzelndes Bedürfnis nach Feierlichkeit hatte und alle paar Tage in Gehrock und Zylinder erschien, um „mit einer Leiche zu gehen“. Als einmal die Sterblichkeit besonders groß war und der Zylinder ohne Unterlaß in Tätigkeit trat, erlaubte sich der Bürochef eine tadelnde Bemerkung, worauf der Feierliche, tief gekränkt, die Antwort gab, alle die Leute, die da begraben wurden, seien auch „mit der Leiche“ seines Vaters gegangen, und er wisse, was sich schicke. Eines Tages, als er mit einem lustigen Bruder zu nachtschlafener Zeit aus der Lese nachhaus ging, ließ er sich dazu verführen, mit seinem Krückstock unter einem Hoftor zu stochern, um den Hund zu ärgern. Dabei geschah es, daß der Hund die schöne alte Elfenbeinkrücke im Maul behielt, und andern Tags hatte der verschmitzte Begleiter in der Stadt die Mär verbreitet, in dem betreffenden Haus sei nachts ein Einbruch versucht worden, man sei dem. Täter auf der Spur, denn im Hof habe sich die Krücke von seinem Stock gefunden. Der Feierliche verlebte ein paar furchtbare Tage und richtete an die Staatsanwaltschaft eine reumütige Denkschrift, in der er den ganzen Hergang schilderte und auf Ehre versicherte, er werde es nie wieder tun.

Ein andrer aus diesem Kreis sonderbarer Kostgänger unseres lieben Herrgotts hatte die Gewohnheit, in der Mittagspause sich ins Büro einzuschließen und dort sein Diner einzunehmen, das abwechselnd aus ein paar Bückingen und einem Limburger Käse bestand. Zur Beförderung seiner Verdauung nahm er dann abwechselnd die Plätze seiner Bürogenossen ein, die nachmittags ihre Papiere durchstöbert fanden und aus den Duftschwaden, die das Mittagmahl hinterlassen hatte, den Ort der jeweiligen Siesta ihres Koellegen bestimmen konnten. Zum Öffnen eines Fensters war er nie zu bewegen, er konnte die frische Luft angeblich nicht vertragen.

Die Pultnachbarn beschwerten sich beim Chef, der über den alten Sonderling lachte und meinte, da@ ja nicht so schlimm. Da kam einer der Jüngsten, @ noch zu den aides commis-expéditionnaires @ soires gehörte, auf einen teuflischen Einfall. Er @ aus einem Stempelkissen ein Stück der a@ durchtränkten Gelatine heraus und bestrich hei@ damit den Drehstuhl des Alten. Nachmittags tra@ Chef in einer gloriosen, schlohweißen Sommerho@ und setzte sich in seinen rohrgeflochtenen Sessel@ er aufstand, trug er auf dem entsprechenden @ seiner Rückseite in strahlendem Blau das Muste@ Rohrgeflechts. Damit war der Beweis geliefer@ in der Mittagspause der harmlose Sonderling @ auf dem Platz des Bürochefs bequem gemacht un@ den Sessel die heimtückische Färbung seines H@ bodens übertragen hatte. Von Stund an muß@ jeden Mittag punkt zwölf Uhr die Stätte @ Tätigkeit vor dem Chef verlassen und seine Bü@ bezw. seinen Limburger unter einem gastli@ Dach verzehren.

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KatalognummerBW-AK-011-2478