Original

21. Oktober 1923

Wissen Sie, was ein Balgkuchen ist?

Wenn man vor beiläufig fünfzig Jahren durch ein Moseldorf ging, sah man da und dort Gerüste stehen, auf denen backsteinförmige, braune Dinger zum Trocknen ausgelegt waren. Sie verbreiteten einen Geruch, der stark an Tresterbranntwein erinnerte, mit einem Stich ins Proletenhafte, unedel Vergorene.

Das waren die Balgkuchen. Sie waren aus den Traubentrestern, die ihren letzten wertvollen Inhalt als Alkohol verdampft hatten und als schierer Abfall aus dem Brennkessel kamen, in Formen gepreßt und bildeten ein Brennmaterial, auf das niemand besonders stolz war, das sich aber einer ziemlichen Popularität erfreute.

Es gab damals allerdings noch mehr Holz im Land, als heute, und schönes Buchenscheitholz war überall billig zu haben. Aber die Eisenbahn bestand kaum seit einem Jahrzehnt, man war noch nicht darauf eingestellt und der Güteraustausch ging nur träge vor sich. Man stand der Naturalwirtschaft noch viel näher, war gewohnt, alles, was man zu seines Leibes Notdurft gebrauchte, aus dem engen Kreis zu gewinnen, in den einen das Leben gestellt hatte, der Mensch stand zur Not des Daseins in einem viel unmittelbareren Verhältnis, als heute, war sozusagen mit allen Bedürfnissen direkt an den Motor gekuppelt.

Als es dann leichter wurde, sich Holz und Kohlen zu verschaffen und das Bedürfnis nach Bequemlichkeit so allgemein wurde, daß sich immer weniger Leute dieses Bedürfnisses schämten, gerieten die Balgkuchen allmählich in Vergessenheit. Die Gerüste, auf denen sie zum Trocknen ausgelegt worden waren, dienten uns als Turn- und Kletterapparate, bis sie einknickten, zusammenstürzten und den. Weg alles Holzes gingen.

Vielleicht führt einmal die Holz- und Kohlenteuerung dazu, daß sie an der Mosel wieder zur Balgkuchenwirtschaft übergehen. Eigentlich ist es nicht recht, daß dies Material ungenützt verkommt. Es besteht aus pflanzlichen Bestandteilen, die zur Vernichtung durch die Flamme bestimmt sind, da die Verwesung gegen sie wenig ausrichtet. Sie liegen herum uneingeschaltet, unverdaut und unverdaulich, drohnenhaft und verdrossen. Warum also sie nicht durch die Flamme gewaltsam in den Kreislauf der Materie einreihen und sie mit Nutzen aus der Welt schaffen? Wir haben dieser Tage in der Kammer gehört, daß man in Barmen durch Verbrennen des Straßenkehrichts Millionen von Pferdekräften in Gestalt elektrischen Stromes gewinnt. Warum sollten sich unsere Mitbürger zwischen Schengen und Wasserbillig im Winter Hände und Füße nicht an lodernden Balgkuchen wärmen, die sie nur die Arbeit des Formens kosten, statt unerschwingliche Preise für Holz und Kohlen zu bezahlen?

Der liebe Herrgott hat seine Wirtschaft so eingerichtet, daß er nirgends Rester macht. Er hat für den Abfall immer Verwendung, und nützliche Verwendung. Er läßt nichts in Ecken und Winkeln herumliegen, ohne daß im vorhinein darüber bestimmt ist. Und er hat dem Menschen das Feuer geschenkt, nicht nur, damit er sich daran wärme und seine Suppe koche, sondern auch damit er mit seiner Hilfe die Abfälle beseitige, mit denen er sonst nichts mehr anzufangen weiß.

Die Flamme reinigt, die Flamme adelt, sie ist die scheinbare Vernichtung, die zu reinerem Dasein überleitet, das rechte Fegefeuer.

Sie bringt es fertig, sogar einen gemeinen Balgkuchen in ätherischen Gefilden heimisch zu machen.

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