Sie können ein großer Musikliebhaber sein, vielleicht gar Stammgast der niederrheinischen Musikfeste oder der Bayreuther Festspiele, und wissen doch nicht, was eine Viola d’amore, eine Liebesgeige ist.
Natürlich werden Sie jetzt in Ihrem Lexikon nachschlagen und finden: Viola d’amore (französisch Viole d’amour), ein bratschenähnliches, ehemals sehr beliebtes, angenehmes Geigeninstrument mit sympathetisch mitklingenden Stahlsaite unterhalb des Darmsaitenbezugs (6-7 Saiten in Dreiklangstimmung).
Aber damit wissen Sie immer noch nicht Bescheid. Sie müssen die Viola d’amore gehört haben, um sich einen Begriff davon zu machen.
Also gehen Sie heute nachmittag um fünf Uhr zur Teestunde ins Majestic und bitten den Primgeiger Herrn De Wouters, Ihnen auf seiner Viola d’amore ein Stück vorzuspielen, meinetwegen die Träumereien aus den Kinderszenen, die er sehr schön spielt. Das ist die Stunde für solch intimen Genuß, mehr, als in den Abendstunden, wenn der Fox in der Luft herumtrottet und die Gäste für Heimeliges nicht immer ein Ohr haben. Schließen Sie die Augen und versetzen Sie sich zurück in die Zeiten, wo die Liebesgeige noch ein beliebtes Instrument war. Statt Ihres grauen oder braunen oder melierten Sacco-Anzuges tragen Sie die Tracht etwa des verliebten Romeo, wenn er in den Straßen von Verona herumging in der Hoffnung, einem gewissen Fräulein Juli Capulet zu begegnen. Und die Mizzi oder Lili oder Gritty Ihnen gegenüber ist nicht nach der letzten Nummer der „Femina“ angezogen, sondern gleicht einer Heldin aus einem Ritterspiel, oder der Sabine aus dem Lied von Gastibelza, dem verrückten spanischen Toggenburger, dem Victor Hugo seine unsterblichen Verse geliehen hat. So ungefähr müssen Sie sich innerlich umstellen, um zu einem Zeitgenossen des Instrumentes zu werden, dessen Klänge Sie jetzt umwerben. Und Sie fragen sich vergebens, warum diese Geige mit dem suggestiven Namen außer Mode gekommen ist. Mit demselben Recht werden Sie sich fragen können, warum die jungen Leute in Verona heute nicht mehr in der Tracht der Montague und Capulet herumgehen. Und die Kulturhistoriker werden allerlei Gründe anzuführen wissen: Die heutige Tracht sei namentlich billiger und bequemer und niemand liebe es, sich durch Kleidung auffällig zu machen, darum habe sich eine internationale Herrenmode herausgebildet, die sogar das älteste Kulturland der Welt, China, zu erobern im Begriff sei usw. usw.
Die Kulturhistoriker wissen es nicht besser. Die Menschen haben auf das Farbige und Malerische und Heroische usw. in ihrer Tracht verzichtet, weil ihre Seele philiströs geworden ist und Bügelfalten angenommen hat. Darum haben sie auch die Liebesgeige zum alten Gerümpel auf den Speicherboden der Geschichte gelegt. Die Belgier haben sie wieder heruntergeholt. Die Belgier finden ihren Spaß dabei, auf dem Speicher der Geschichte herumzukramen und allerhand Kulturgut aus vergangenen Jahrhunderten farbig und klingend in die Gegenwart zu stellen. Am Brüsseler Konservatorium besteht, glaube ich, ein ganzes Orchester alter, längst vergessener Instrumente, und das verdankt sein Dasein derselben Vorliebe, die bei unsern Nachbarn in Flandern die wundervollen historischen Umzüge, Turniere nach alten Chroniken usw. zustande bringt.
Die Viola d’amore hat, wie Sie gelesen haben, unter den Darmsaiten noch drei andere, stählerne Saiten liegen, die mit den eigentlichen Spielseiten sympathetisch mitschwingen. Sie sind eigentlich die Genießer, die oberen Saiten sind die Schaffenden. Diese sind dem herausfordernden Reiz der kolophoniumbestrichenen Roßhaare ausgesetzt, müssen unter der nervösen Hand des Künstlers schwingen, fingen, aufschreien, den ganzen Resonanzboden in Mitschwingung versetzen. Aber die Stahlsaiten liegen unberührt, geborgen, ruhig auf die verwandte Schwingung wartend, wie Herzen auf Wahlverwandtschaften. Und sie klingen in zartem Widerschein den Klang der Spielsaiten nach, wie Frauen das Leben geliebter Männer traumhaft mit- und nachleben, nur durch sie und von ihnen die Eindrücke von außen erwartend und empfangend.
Hat die Viola d’amore daher ihren Ramen bekommen?