„Eben komme ich aus einem unserer bekanntesten Lokale“ - sagte Grimmberger - „einem Lokal, in dem ich noch vor zehn Jahren mit lauter alteingesessenen Luxemburgern meinen Kaffee trank und meine Partie Billard spielte. Heute sitzt da alles voll und ich kenne, hol mich der und jener, nicht einen einzigen Gast. So geht es mir im Majestic, so geht es mir im Trocadero, bei Hippert, - überall fremde Gesichter.“
Grimmberger redete sich in einen gelinden Eifer, als sei ihm eine persönliche Beleidigung damit widerfahren, daß überall Leute saßen, die er nicht kannte.
„Schnauzvögel mit glatten Gesichtern und einem Stich ins Exotische. Meist bartlos, sehr überlegen, sehr Gesandtschaftssekretär oder sehr Chauffeur. Stil Kientopp. Damen und Dämchen, ganz, halb und ein Drittel elegant. Ein Milieu, wie wir sonst sagten, zu Genrestudien wie geschaffen. Das war doch früher nicht. Früher kam man in ein Lokal und wußte sofort, wo man war und wer da saß. Der Mett und der Pier und der Pol und der Joß, der Bäcker, der Metzger, der Schneider, der Uhrmacher, der Katasterkommis und der Unterbürochef aus der Regierung - und am Herrentisch der Herr Regierungsrat und der Herr Obergerichtsrat und der Herr Rechnungsrat und der Herr Doktor und der Herr Apotheker usw. Nur Damen waren keine da. Damen hätten dazumal im Kaffeehaus gewirkt, wie in einem Männerbad. Höchstens einmal nach dem Theater nahmen vorurteilslose Gatten oder Brüder oder Väter sie mit zu Biere und dann hielt es schwer, sie nachhaus zu bringen.“
Grimmberger „dudderte“ ein paarmal vor sich hin und grollte weiter:
„Ich möchte wissen, wo die Gäste alle hingekommen sind, denen man früher in den Lokalen der Stadt begegnete. Wo trinken sie ihren Schoppen, wo spielen sie ihren Skat? Ich bin sicher, wenn der Jiß Jentgen heute wiederkäme und seinen Biertempel am Paradeplatz wieder aufmachte, ich könnte mich einen ganzen Tag hinsetzen, ohne ein bekanntes Gesicht zu sehen. Ich gehe nicht mehr aus. Viel lieber trinke ich meinen Schoppen in Walferdingen oder in Neudorf oder in Senningen-Niederanven. Da hat man doch eine Ansprache!“
„Grimmberger,“ sagte ich beschwichtigend, „das hat der Krieg mit sich gebracht. Die alten Luxemburger sitzen nach wie vor in ihren Stammkneipen, aber viele davon sind nicht mehr da, und die andern verschwinden in der Masse, oder haben aufs Ausgehen verzichtet, eben weil sie sich auch entwurzelt fühlen. Um die alten Luxemburger herum aber sind junge Luxemburger heraufgewachsen, die nicht mehr in Altluxemburg wurzeln, Kaufleute, Ingenieure, Beamte, Techniker, denen der Wind der Fremde um die Ohren geblasen hat. Sie wachsen dicht, wie das Unterholz unter den alten Eichen und Buchen, wie der Winterpelz unter dem Sommerhaar. Der Krieg hat aus Luxemburg eine Stadt mit völlig verändertem Charakter gemacht. Das mächtige Ferment „Industrie“ ist zu einem großen Teil aus dem Erzbecken in die Hauptstadt verpflanzt und hat diese zu einem Mittelpunkt gemacht, von dem sie bisher nur den Namen hatte. Wir lesen in den ersten Heften der Kulturgeschichte von Nik. van Werveke mit Interesse von den historischen Schichten, die mit Finnen, Iberern, Ligurern, Kelten, Römern usw. aufeinander folgten. Das war vor Zehntausenden von Jahren. Jetzt vollzieht sich unter unsern Augen in der Menschheit eine Wandlung, von der später einmal in der Geschichte viel Aufhebens gemacht werden wird und die auch im veränderten Cyarakter von Luxemburg deutlich sichtbar wird. Es ist der Aufmarsch der Massen zur Eroberung der alten Kulturgüter. Sie erobern dabei Manches, was ihnen kostbares Kulturgut scheint und nur Talmi ist, aber .......“
„Aber der Glaube macht selig!“ knurrte Grimmberger.