Original

1. November 1923

Ich sah einen Mann, der mit Hasenfellen handelt, sich von einer Haustüre lösen, die sich vor ihm ziemlich unsanft geschlossen hatte. Er fluchte zornig vor sich hin.

„Das ist nun die siebte!“ hörte ich ihn brummen. Er merkte, daß ich ihn beobachtet hatte und erklärte mir sein Verhalten.

„Wo ich anklingle, überall öffnet mir so’n fremdes Ding. Ich frage: „Hut der keng Huesepelzer?“ Und sie schnippisch dagegen: „Meinen Sie Hasenfelle?“ Weiß der Henker, wer uns all dies fremde Volk ins Land geschmuggelt hat!“

Und brummend ging er weiter, bis zur nächsten Tür, wo er wahrscheinlich dieselbe Erfahrung machte.

Tatsächlich wimmelt das Land von deutschen Dienstmädchen. Erst kamen sie als Begleiterscheinung der Valuta. Das hat längst keinen Sinn mehr. Sie strömen herein und bleiben hier hängen. Eine Dame, die in Deutschland Beziehungen hat, erfährt durch eine Freundin, daß in Trier oder Koblenz oder noch weiter irgendwo eine Perle sitzt, die gerne nach Luxemburg in Stellung ginge. Die Dame möchte gar zu gern wieder mal eine Perle haben. Sie schickt das Geld für Reise und Einreisevisum und die Perle kommt.

Acht, vierzehn Tage lang läßt sich mit ihr auskommen. Bis sie einigermaßen herausgefüttert ist. Dann entwickelt sie ihre Theorien. Sie ist für den Achtstundentag, sie ist kein Dienstmädchen, sondern Hausbeamtin, sie will etwas fürs Gefühl und verlangt deshalb, daß sie Sonntags freie Nacht bekommt. Denn allbereits hat sie sich hier mit einem Landsmann, den sie Gott weiß wo getroffen hat, verlobt und möchte mit ihm ihre Jugend genießen. Der Verlobte erscheint ab und zu an der Abschlagtür und fragt nach Fräulein Braut. Er sieht nicht immer sehr vertrauenerweckend aus. Die Dame empfindet es unheimlich, daß sie Nächte durch ihren Hausschlüssel der fremden Person anvertrauen soll, die sich inzwischen als Besitzerin zweier und noch mehr Verlobter herausgestellt hat, und sie kündigt der Perle, um das Experiment von vorne zu beginnen.

Die Perle geht natürlich nicht wieder nach Deutschland, sondern sucht und findet eine Herrschaft, die es mit dem Hausschlüssel weniger genau nimmt.

Wenn besagte Dame Glück hat, findet sie ein Mädchen, bei dem es zwei Monate dauert, bis es sein Herz entdeckt. Bei andern dauert es eine Woche. Nehmen wir einen Durchschnitt von einem Monat: So macht das im Jahr zwölf Perlen. Gesetzt, es sind auch nur fünfhundert Hausfrauen im selben Fall - und es sind sicher viel mehr - so werden in einem Jahr 12×500=6000 solcher Perlen ins Land gezogen, die so oder so vom Bedarf absorbiert werden und mit ihren Verlobten zusammen ein Ferment bilden, dessen wir gerne entraten würden.

Es gibt Ausnahmen. Es gibt - und es gab zumal im Anfang deutsche Mädchen, die durch die heimische Misere getrieben zu uns herüberkamen und den Namen Perle wirklich verdienten. Was heute den Markt überschwemmt, ist vielfach Ausschuß oder wird verhältnismäßig rasch hier in Kreise gezogen, in denen der Sinn für Einordnung und Pflichterfüllung mit nichten gepflegt wird.

Inzwischen drainieren Nonnen und andere Stellenvermittler unsere luxemburger Mädchen nach dem Ausland, wo sie rasch französisch lernen und von Kutschern, Kammerdienern, Chauffeuren und den älteren Semestern unter ihren Kolleginnen in die Kultur großstädtischer Gesindestuben eingeweiht werden, wenn sie nicht gar Mädchenhändlern in die Hände fallen.

Was wollen Sie, der Zug nach Westen!

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