Original

6. November 1923

Als die Anzeige über die Eröffnungsvorstellung im Luxemburger Stadttheater erschlen, entrüsteten sich viele Steuerzahler - so nennen wir uns gerne, wenn wir gegen Staat oder Gemeinde aufmucken - über die, wie sie sagten, phantastischen Preise. Wenn man 18.50 Franken für eine Stalle bezahlen müsse, könne man einfach nicht mehr ins Theater gehen. Am meisten ärgerte sich von meinen Bekannten ein Geschäftsinhaber, bei dem ich grade eine Krawatte - billig! - für 10 Franken erstanden hatte.

„Als «Véronique» zum letzten Mal in Luxemburg gegeben wurde,“ sagte ich, „bekam man die seidenen Herrenkrawatten zum Preise von 45 Pfennig bis 1 Mark zu kaufen.“

Er behauptete zwar, das sei nicht dieselbe Ware gewesen, aber ich meinte, das sei mir egal, eine Krawatte sei eine Krawatte, und wenn heute der eine Luxusartikel acht mal teurer geworden sei, dürfe der andere doch auch um die Hälfte aufschlagen.

Für die Vorstellung von «Véronique» am 29. November 1902 kosteten die Plätze:

Balkon 1. Rang7.50Fr.heute18.50Fr. Balkon 2. Rang6.00„„18.50„ Balkon 3. Rang5.00„„17.00„ Stalles5.00„„18.50„ Parquet3.75„„12.00„ Parterre2.50„„9.50„ Amphitheater1.25„„5.50„

Wollen Sie bitte vergleichen, was im November 1902 Butter, Eier, Kartoffeln, Holz, Kohlen, Schuhe, Kleider, Fleisch usw. kosteten und was sie heute kosten. Zweitens, in welchem Verhältnis damals Löhne, Gehälter und sonstige Bezüge und Einkünfte zu den Kosten der Lebenshaltung standen und in welchem sie heute stehen.

Man hat sich daran gewöhnt, jedem Gemeinwesen, das den Entgelt für seine Leistungen der jeweiligen Index-Ziffer anpaßt oder auch nur annähert, die bittersten Vorwürfe zu machen. Es sei schon genug, wenn die Bauern, die Metzger, Bäcker, Hausbesitzer usw. mit ihren Preisen endlos in die Höhe gehen, die Gemeinde brauche dafür ihre Bürger noch nicht übermäßig zu schröpfen.

Gesetzt, die Gemeinde ginge darauf ein und gäbe alles zum Vorkriegspreis: Gas, Elektrizität, Trambahnfahrten - und Theater. Da sie ihre Kohlen, ihre Beamten und Arbeiter, ihre Theatertruppen im Durchschnitt viermal höher bezahlen muß, als vor dem Krieg, so bliebe sie mit drei Viertel ihrer Kosten im Defizit und dies müßte durch Gemeinde-Umlagen gedeckt werden. Es käme also dahin, daß alle die Leute, die aus Sparsamkeit, aus Tugendhaftigkeit oder aus Gesundheitsrücksichten nicht ins Theater gehen, für die Kinder dieser Welt bezahlen müßten, die ins Theater laufen.

Soviel steht mithin fest: Die Theaterpreise sind absolut genommen nicht zu hoch, zumal wenn man bedenkt, daß die Theaterbesucher künftig viel komfortabler, als bisher untergebracht sind.

Aber die Preise sind zu hoch für die Leute, die ins Theater gehen wollen.

Unter den Luxemburgern, die soviel Geld verdienen, daß der Preis der Theaterkarten für sie nicht in die Wagschale zu fallen bräuchte, gibt es sehr viele, die einfach nicht ins Theater gehen. Manche sind zu bequem und sagen, sie decken ihren Bedarf viel besser bei gelegentlichen Reisen nach Paris und Brüssel, andere sind so ungebildet, daß sie im Theater nur die Hälfte verstehen, wieder andere verstehen nicht, daß man für etwas Geld ausgibt, was man nicht essen kann usw. Unter denen, die übrig bleiben, sind sehr viele, die trotz erhöhten Einkommens das Geld für die Theaterkarten nicht aufbringen, weil die Vorstellungen oft zu rasch aufeinander folgen. Es geht nicht mehr, daß man jeweils die 10-20 Franken als „Verschiedenes“ aus der Westentasche herauskrümelt, das Theater muß im Büdget als eigener Artikel geführt werden. Für ein Ehepaar wird ein Posten von 500 Franken im Jahr noch sehr knapp gegriffen sein; dabei ist noch vorausgesetzt, daß die Zahl der Vorstellungen nicht in die zwanzig geht.

Und da wäre der Theaterkommission zu empfehlen, daß sie die Vorstellungen einschränkt und dafür sorgt, daß nur Erstklassiges geboten wird. Wenn ein Abonnent fünf Mal in einem Monat je 15 oder 30 Franken für eine mittelmäßige Darbietung zahlen muß, wird er natürlich kopfscheu. Es ist zu bedenken, daß Familien mit dem Durchschnittseinkommen derjenigen, aus denen sich unsere Abonnenten rekrutie, ren, in Großstädten auch kaum mehr als zweimal im Monat in teure Theater gehen.

Also: Seltener spielen, oder billiger.

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KatalognummerBW-AK-011-2500