Original

8. November 1923

Wie wir uns zur Rheinischen Republik stellen, lieber Freund?

Das ist so einfach, daß Sie es sich an den Fingern abzählen könnten.

Bisher saßen wir blank und schutzlos zwischen Hammer und Amboß. Wenn es rechts und links von uns losging, hatten wir alle Aussicht, daß sie sich bei uns die Köpfe blutig schlugen und daß dabei unser Geschirrschrank in Scherben ginge. In der Praxis kam es zum Glück so, daß die ersten Treffen erst hinter unserer Westgrenze erfolgten, aber wenn es später wieder einmal zum Klappen käme, würden die Franzosen dem Feind kaum wieder eine so geräumige Anlauftenne auf ihrem eigenen Boden freigeben. Es kann uns daher nur lieb sein, wenn die Grenze von Igel und St. Vith eine Strecke weit zurückverlegt wird, damit wir nicht beim ersten Zusammenprall die Leidtragenden zu sein brauchen.

Zweitens glaube ich, daß wir mit einer Rheinischen Republik bessere Nachbarschaft halten könnten, als mit einer preußisch durchseuchten Rheinprovinz. Die Rheinländer sind ein wenig unseres Blutes, mit den Stockpreußen haben wir nichts gemein. Wo der Rheinländer sagt: Leben und leben lassen, sagt der Preuße: Erst selbst leben, dann sehen, ob und wie wir die andern leben lassen. Je näher es an die Westgrenze ging, desto dichter hatten sie das Rheinland mit preußischen Elementen durchsetzt, um dieser leichtlebig großzügigen Rasse die Hammelbeine grade zu ziehen und sie gegen alles, was mit Wälschland zusammenhing, scharf zu machen. Ich glaube, mit den Trierern hätten wir uns ebensogut vertragen, wie mit ihrem Wein, wenn sie von Berlin aus nicht so preußisch überschwefelt gewesen wären.

Sie sehen, lieber Freund, wir haben von einer Rheinischen Republik auf den ersten Blick nur Erfreuliches zu gewärtigen.

Aber die Franzosen müssen der Sache mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen. Werden sie einerseits durch den Zerfall des Reichs von der Angst vor einem einigen und durch seine Einigkeit übermächtigen Erbfeind befreit, so zerfällt andererseits mit dem Reich auch die Stelle, die für die Kriegsentschädigung haftbar ist und die Reparationen werden zu einem immer schwierigeren Problem. Die Ausrufer der Rheinischen Republik verkünden zwar, sie werden ihren Anteil an den Reparationen bezahlen, aber bei der Festsetzung des Anteils wird es sicher zu Krämpfen kommen und außerdem hegen die führenden Separatisten ganz sicher die Hoffnung im Busen, daß sie nach ihrer Lostrennung von Preußen in Frankreich einen nachsichtigen Gläubiger finden werden. Frankreich kann aber zurzeit mit Nachsicht nichts anfangen, es ist noch immer auf die gut geordnete Nächstenliebe angewiesen, die bei sich selbst anfängt. Eigentlich und im Grunde genommen ist die Rheinische Republik für Frankreich ein Elefant, mit dem sich nichts Gescheites anfangen läßt. Auch später kann das Bestehen dieses would-be- Pufferstaates zu allerhand Verwicklungen führen. Es wird ja wohl wieder eine Zeit kommen, wo in Preußen die Lust gewachsen sein wird, mit den Abrundungsfeldzügen wieder zu beginnen, die zur Fiktion eines Deutschen Reichs geführt hatten. Dann wird sich Preußen zu allererst das Rheinland wieder holen wollen, das Rheinland, auf sich allein gestellt, wird eine relativ leichte Beute für das landhungrige Preußen werden - wenn es nicht beizeiten für Verbündete gesorgt hat, oder wenn Frankreich seinerseits sich nicht gegen Überraschung gesichert hat. Sie sehen von dem Problem Rheinische Republik sind kaum die ersten Faktoren an die Tafel der Geschichte geschrieben.

Dem sogenannten Deutschen Reich aber können schließlich der Abfall der Rheinischen Republik Hen sein. Was war das Reich anders, als ein durch territoriale und psychologische Eroberungen groß gewordenes Preußen? Die nationale Kohäsion, wie sie sich in Frankreich nach 70 bewährt und zur Wiedergeburt des Landes geführt hat, bestand im Deutschen Reich nie oder sie ist nach dem Krieg spurlos verschwunden. Der Begriff Vaterland war als tragkräftiges Ideal nur in der Volksschicht vorhanden, die heute in Deutschland am Verhungern ist. Das Unternehmertum benützte das Unglück des Vaterlandes und die Schwächen und Mißgriffe der Regierenden zu w Plusmacherei, das Proletariat ging in Klasseninteressen auf und unter, und der Begriff Vaterland schwimmt als leere Blase den Rhein hinab. Wie sich da die rheinischen Separatisten ein Vaterland zurechtmachen wollen, von dem sie sagen können Klein, aber mein!, wer will es ihnen verdenken?

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