Ich sah in einer Straße einen ländlichen Kartoffelwagen stehen, mit einem Pferd bespannt. Niemand war um die Wege. Wahrscheinlich bekam der Bauer, nachdem er die Kartoffeln in den Keller getragen hatte, vom Hausherrn grade einen Schnaps, während die Frau die dreihundert Franken aufzählte, die die vier Malter kosteten. Doch das gehört nicht hieher.
Das Pferd vor dem Kartoffelwagen war nicht angebunden. Es war kein Ring im Pflaster, an den der Bauer sein Pferd hätte anbinden können. An die Türklinke ließ es sich auch nicht feststricken. Völlig frei aber konnte der Eigentümer es auch nicht stehen lassen, denn es war noch ziemlich jung und also jeder Sehnsucht fähig. Es hätte an den heimischen Hafertrog oder an seinen Stallgefährten denken können, an dessen Backe es manchmal als Trost in seiner Einsamkeit seine Backe rieb. Und in solchem Heimgedenken hätte es können die Stadt Stadt sein lassen und mit dem leeren Wagen nachhaus traben und der Bauer hätte es in der ganzen Stadt suchen, bei der Polizei anmelden und zuletzt allein zu Fuß bis nach Contern oder Itzig oder Sandweiler laufen lassen, wo ihm seine Frau überdies auf den Kopf zugesagt hätte, er hätte so lange im Wirtshaus gesessen, bis dem Gaul die Zeit lang geworden sei.
Um all diesen unangenehmen Weiterungen vorzubeugen, hatte der Bauer zu einer Vorspiegelung solcher Tatsachen gegriffen, wie es alle Pferdebesitzer in ähnlichen Fällen tun. Er hatte seinem Gaul an die Halfter einen Strick gehängt an dessen anderm ein Eisengewicht befestigt war. Ein Gewicht nicht allzuschwer, nicht so schwer jedenfalls, daß es der Gaul nicht mit Leichtigkeit bewegt und gehoben hätte, aber - und das ist des Pudels psychologischer Kern - schwer genug, um dem Gaul, wenn der Strick spannte, den Eindruck zu vermitteln, er sei tätsächlich festgebunden. Wüßte er, daß dies nicht der Fall ist und daß er mit einem Minimum von Kraftaufwand sich frei machen, nach Contern, Itzig oder Sandweiler zu seinem Stallgefährten und dem Hafertrog ausreißen könnte, indem er nur dies Eisengewicht mitzuziehen hätte, das für ihn nicht derlicher wäre, als für den Raucher seine Pfeife, wetten, er wäre längst auf und davon!
Ist dies Truggewicht nicht ein Sinnbild des nges, der viele Menschen in Verhältnissen, Stellungen, Bindungen zurückhält, in denen sie auf che Freude und Freiheit verzichten müssen, genau wie der Gaul vor dem Kartoffelwagen? Auch sie en sich irgendwo einen besser gefüllten Hafertrog wüßten Menschen, mit denen es eine Luft wäre zu leben, statt daß sie in Kreise gebannt sind, in die sie ihre Tage unfroh verleben müssen. Auch so gilt der trostlose Liedvers Da wo ich nicht - Da ist das Glück! Aber sie halten sich für verbunden. Wie das Pferd seinen Bauer hat, so haben sie vielleicht einen Menschen, der ihnen ein Gewicht um die Halfter gehängt hat, damit sie glauben, sie angebunden - nur damit er inzwischen ruhig den Geschäften nachgehen kann. Sie haben vielleicht ein oder das andre Mal versucht, loszukommen, aber sobald sie den ersten Widerstand spürten, sich traurig in ihr Schicksal ergeben.
Wüßten sie, daß der Strick, der sie hält, am andern Ende nicht in einem eingemauerten Ring festgemacht ist, daß sie durch einen kräftigen Hub das Gewicht vom Boden rissen und frei wären, keinen Augenblick länger hielten sie es in ihrer Tretmühle aus.
Aber es ist leider so, daß der Mensch nur zu oft seinem eigenen Schicksal mit Pferdeverstand gegenüber steht.