Original

13. November 1923

Unter dem Titel „Der Skorpion“ ist bei Dr. Fritz Frommel Verlag, Ludwigsburg eine neue Wochenschrift erschienen, deren Programm in der Hauptsache folgendermaßen umschrieben wird:

„Stickige Lügen, schamlose Heuchelei, verstockte Dummheit und moralische Feigheit liegen über den deutschen Landen, alle zusammen das große Untier. - Breit, aufgeblasen, schleimig liegt das große Untier plattbäuchig und ekel da, der ganzen Welt ein Spott und eine Drohung zugleich. - Seine Haut scheint undurchdringbar, doch das ist nicht der Fall, der Stachel des „Skorpion“ wird und muß treffen. - Denn stechen soll der „Skorpion“ da, wo’s nötig ist.“

Die erste Nummer gibt einen Begriff davon, wie der „Skorpion“ seine Aufgabe auffaßt. Er behauptet u. a., das deutsche Volk werde durch seine „führende“ Presse weiter nichts als irregeführt und erzählt zum Beweis dafür folgenden Vorfall:

„Eine Verliner Vereinigung wollte über diese Frage einen der bekanntesten Machthaber der deutschen Presse hören, den die „Weltbühne“ als Herrn Z. bezeichnet, und den wir mal Herrn Georg Bernhard, von der „Vossischen Zeitung“, nennen wollen. Nach dem Vortrag dieses ohne Zweifel - repräsentativsten - deutschen Journalisten über die Ruhrfrage sagte ein Diskussionsredner: „Ich erlaube mir, an Herrn Z. die Frage zu richten, weshalb er von all den ungemein interessanten, aufschlußreichen und überaus plausibel klingenden Ausführungen, die er hier gemacht hat, und die ganz danach angetan sind, das Volk, das jetzt wieder genau so belogen werden soll wie im Kriege, beizeiten aufzuklären - also ich frage ihn, weshalb er nichts davon in seiner Zeitung schreibt oder schreiben läßt.“ Herr Z. kam keinen Augenblick in Verlegenheit, sondern erhob sich zu folgendem ehrlichen Zynismus: „Darauf habe ich zweierlei zu erwidern. Erstens habe ich meinem Verlag gegenüber meine Stellung so oft aufs Spiel gesetzt, daß ich es satt habe. Zweitens: wenn unser Hauptkonkurrenzblatt die Wahrheit sagte, würden auch wir sie sagen. Da es aber die Unwahrheit sagt, und da unsre Leser, wenn wir die Wahrheit sagten, in Scharen zu ihm überlaufen würden, müssen auch wir die Unwahrheit sagen.“

„Nun muß, um gerecht zu sein, noch betont werden, daß die ins Ruhrgebiet geschickten Journalisten in den Redaktionskonferenzen eindringlich zu einer Schwenkung rieten - der passive Widerstand sei unmöglich durchzuhalten und seine Fortsetzung ein Verbrechen an Deutschland und die Folge unabsehbares Elend. Was aber den Herren Verlegern und Chefredakteuren ganz egal war, denn ihre Leser wollen belogen werden, und belog man sie nicht, so gingen sie zum Konkurrenzblatt über.“

Demnach wäre es heute tatsächlich mit der Berichterstattung aus Deutschland fast so weit, wie seinerzeit mit unserm Wissen um die Vorgänge und Verhältnisse in Rußland vor, während und nach der Revolution. Und darum tun wir wohl daran, jede Nachricht erst auf ihre psychologische Wahrscheinlichkeit in Hinsicht auf die darin als handelnd eingeführten Faktoren zu prüfen. Es ist oft der einzige Prüfstein, über den wir verfügen.

TAGS
  • Buchbesprechung
  • Dt.
KatalognummerBW-AK-011-2506