Soviel ist sicher: Wenn das Quartett SchulzePrisca vor beiläufig zweitausend Jahren, statt heute, und von Galiläa statt von Deutschland aus seine Kunstreisen angetreten hätte, so läsen wir heute bei Johanne nicht das geflügelte Wort „Was kann von Nazareth Gutes kommen?“
Es wäre faktisch beinahe so weit, daß man sich im Ausland fragen müßte: Was kann von Deutschland noch Gutes kommen? Aus dem Land, wo die Besten des Volkes in moralischem und materiellem Elend verfinken, wo die Führer den Weg zur Klarheit nicht finden oder nicht gehen wollen, weil sie keine Führer sind, wo Egoismus, Maulheldentum, Schwäche, Tücke und Wahnsinn den Tag beherrschen?
Nun kommen aus Deutschland vier Leute mit Fiedel und Bogen, setzen sich zwei Stunden lang hin und zeigen dem Ausland, was aus Deutschland trotz allem noch Gutes kommen kann.
Ich behaupte kühn und aus vollster Überzeugung, daß keine Währungsstabilisierung soviel für die Wiederherstellung des deutschen Rufes im Ausland tun kann, wie ein einziges Konzert einer Künstlervereinigung von dem Rang des Schulze-PriscaQuartetts.
Wer liest hier draußen heute noch deutsche Bücher? Wer unterhält über Mosel und Rhein hinüber noch geistige Beziehungen, außer durch die Lektüre von Zeitungen, die die patentierten Giftstoffverbreiter sind? Drei Monate Zeitungsverbot, und die Gemüter kommen der Befriedung näher, als durch jahrelange Konferenzen am grünen Tisch. Unsere Doppelkultur, die ein halbes Jahrhundert lang nach Osten hinkte, hat seit Jahren begonnen, nach Westen zu neigen. Es wird noch eine Weile dauern, bis das frühere Übergewicht sich verschoben hat und aus dem Neigen nach Westen ein Hinken wird, wie das frühere. Wer aber in der Fähigkeit zum Genießen nach rechts wie nach links eine Wesensbereicherung erblickt, wird nicht ohne Bedauern der Zeit entgegensehen, wo die Absorbierung nach Westen das Gleichgewicht zerstören wird, viel stärker, als es bis zum Abschluß des Weltkriegs zerstört war. Denn der Zug nach Westen ist ungleich stärker, als es der Zug nach Osten je war. Die Generation, die der geistigen Wohltaten aus beiden Kulturwelten teilhaftig war, möchte sich nicht gerne vollständig halbiert sehen, und dennoch hat sie bis jetzt der Verkümmerung der einen Hälfte ohne große Bekümmernis zugesehen. Denn: Was konnte aus Deutschland noch Gutes kommen? Die am lautesten schrieen, sich am auffälligsten als die Vertreter Deutschlands gebärdeten, waren diejenigen, die es am sichersten dem Mißtrauen, dem Haß oder der Verachtung auslieferten. Diejenigen, die das Gold deutscher Kunst- und Geistesschätze am ehrlichsten ausmünzten, wurden mit den andern in Bausch und Bogen abgelehnt.
Das Quartett Schulze-Prisca ist in seiner Art etwas wie die Taube mit dem Ölzweig im Schnabel. Dort, von wo sie kommt, sind die Wasser noch trüb und die Menschen noch nicht guten Willens, und die es sein möchten, haben var den andern Angst, die lauter schreien. Aber wenn es möglich ist, in einer Hölle, wie das Leben in Deutschland für geistig gerichtete Menschen sie heute sein muß, so reine und vollkommen schöne Kunstblüten zu treiben, wie die Darbietungen dieses Künstlerquartetts sie darstellen, so muß man sagen, daß der Geist, an dem Deutschland wird genesen müssen, noch nicht tot ist. Denn nicht an Stinnes, nicht an Ludendorff, nicht an den Nacheiferern der Mörder Rathenaus kann Deutschland gesunden, sondern an dem Willen zur Wahrhaftigkeit der wenigstens in seiner Kunst immer noch Zuflucht findet.