Der Zauber des Elternhauses ist kaum irgendwo mit so schlichter Wärme beschrieben, wie in George Eliots bekanntem Roman: «The mill on the Floss». Der junge Tom Tulliver kommt zum ersten Mal nach längerer Abwesenheit heim in die Weihnachtsferien, im ersten Dezemberschnee. Zuhaus erwarten ihn Vater, Mutter und Schwester Maggie. Das Glück, wie er das Licht aus dem Stubenfenster leuchten sieht, während der Wagen geräuschlos über die schneebedeckte Brücke fährt, wie er aus der Kälte hinein in die behagliche Wärme tritt, mit Küssen und Lächeln am heimischen Herd empfangen! Denn die jungen Engländer hatten damals noch einen Herd, von dessen lodernden Flammen sie träumen konnten, wie wir vom alten Kolonnenofen, den Herd, von dessen Fußteppich ihnen das Muster und von dessen Brandruten ihnen jede Linie von Kind auf vertraut waren. „Kein Wohlgefallen gleicht dem - schreibt Georg Eliot -, das wir in dem Kreis empfinden, in dem wir geboren sind, wo wir die Gegenstände lieb gewonnen, bevor wir vor die Qual der Wahl gestellt waren, wo die äußere Welt nur eine Erweiterung unserer eigenen Persönlichkeit schien. Wir nahmen diese Erscheinungen einfach hin und liebten sie, wie wir unser Daseinsempfinden und unsere Glieder als etwas Selbstverständliches hinnehmen. Die Möbel unseres Elternhauses würden vielleicht banal oder häßlich erscheinen, wenn sie in einer öffentlichen Versteigerung ausgeboten würden. Ein verfeinerter Geschmack verachtet sie. Und ist nicht tatsächlich das Streben nach Hebung unseres Milieus das charakteristische Zeichen, das den Menschen vom Tier unterscheidet? [George Eliot opfert hier dem britischen Eigendünkel durch folgenden Zusatz: Oder, um in der Definition von gewissenhafter Genauigkeit zu sein: das den britischen Menschen vom fremden Tier (brute) unterscheidet?] Aber weiß der Himmel, wohin uns dies Streben führen würde, wenn wir nicht mit unserer Zuneigung diese alten, minderwertigen Stücke umfaßten, wenn wir nicht mit dem, was wir im Leben lieben und heilig halten, tief in der Erinnerung wurzelten!“
Tom Tullivers Vater verliert in einem Prozeß seine Mühle mit allem, was drum und dran hängt, und Frau Tulliver jammert über ihr schönes Porzellan, das nun unter den Hammer kommen soll. „Und ich habe es gekauft, als ich heiratete,“ sagt sie zu ihren Schwestern. „Grade, wie Ihr auch Eures bei Eurer Heirat gekauft habt.“ ... „Und nie wurde auch nur ein Stückchen davon zerbrochen, denn ich spülte es immer eigenhändig. Und auf den Tassen sind Tulpen und Rosen und jeder, der es ansieht, hat seine Freude dran. Ihr würdet sicher nicht wollen, daß Euer Porzellan versteigert und in alle vier Winde verstreut würde, obgleich es nicht gemalt ist und nicht soviel kostete, wie meines.“
Und wenn es nun erst über die Linnenschränke hergeht! „Da ist das Leinen, das ich gesponnen habe, als Tom zur Welt kam, und als er in der Wiege lag, da war einer meiner ersten Gedanken, daß alle diese Sachen, die ich von meinem Geld gekauft und so sorgsam bewahrt hatte, einst ihm gehören würden!“
Wer in unserer raschlebigen Zeit mit dem Hausrat seiner Väter noch Staat macht, tut es sicher, um gegen diese übertriebene Naschlebigkeit Front zu machen und um zu zeigen, daß er nicht erst von heute und gestern zu denen gehört, die Servietten bei Tisch benutzen. Man beginnt - auch die Neureichen beginnen schon, den Stimmungswert der Behaglichkeit in den Möbeln zu erkennen, und wenn eine Hausfrau den großen Küchenschrank ihrer Großmutter, fein gebohnt und mit Biedermeiergardinchen verhängt, als Büffet in ihr Eßzimmer stellt, so verrät sie damit mehr echten Geschmack, als manche Dame, die ihr Eßzimmermobiliar von Bembé bezogen hat.
Indes, das war nicht der Zweck der Erinnerung an George Eliot’s Roman. Wir erleben seit Jahren, daß altes Familiengut, Schmuck, Möbel und sogar Kleider von verarmten Zeitgenossen allmählich verhökert werden müssen. Das Wort „von der Wand in den Mund leben“, das erst mit einer Art Galgenhumor geprägt, gebraucht wurde, hat längst eine furchtbar tragische Bedeutung gewonnen. Stücke, an denen das Herz braver Leute hing - die an ihrem wirtschaftlichen Niedergang unschuldig sind -, alte goldne Kreuze, Ketten, Ringe, Uhren, Bilder, Betten, Tische, Stühle, Schränke, die vom Großvater auf den Enkel, von der Ahne auf die Enkelin gekommen waren, die man mit rührendem Stolz zeigte, die für Stetigkeit und soliden Einschlag in der Rasse Zeugnis ablegten, alle diese stummen Träger einer Überlieferung, die Geschlechter zusammenhielt, sind in die Hände von Tausenden und Tausenden übergegangen, für die ihr Hauptwert einfach nicht vorhanden ist. Und die heimliche Seelenpein von Millionen der Besten eines Volkes, die so in ihrem Liebsten entwurzelt sind, die wiegt in der ethischen Ordnung der Dinge schwerer, als alle Börsenverluste. Da sind Werte zerstört, die nie wieder hergestellt werden können. Und das ist der dauernde Verlust, den die herrschende Misere über die Welt gebracht hat.