Das Scherzo über die Annexion der Bondorfer Mühle hat mir verschiedene interessante Zuschriften eingetragen. Ein Korrespondent teilt mir mit, daß „Molitorsch Neckelchen“ aus Bondorf, als Hotelwirt, Nimrod und Amateurphotograph durch das ganze Land vorteilhaft bekannt, seinerseits die Oeiler Mühle, die in Belgien liegt, für seine Heimatgemeinde annektiert hat, und zwar durch dasselbe Verfahren, dessen sich Herr Prom aus Martelingen bedient hat, um die Bondorfer Mühle seiner belgischen Heimat einzuverleiben.
Noch interessanter aber ist die Geschichte einer solchen Privatannexion, die ein Bekannter mir erzählt. Ich gebe ihm selbst das Wort:
„Schauplatz des Geschehens sind die Gründe, welche die Aqua Secura schon zu Römerzeiten in ihrem Jahrtausende alten Laufe im Oberlauf zwischen Felsblöcken und steilen Bergabhängen ausgewühlt hatte, wo sie heute in friedlicherem Plätschergang die beiden Gemeinden Bigonville (luxemburgisch) und Tintange (belgisch) in aller Freundschaft scheidet, ein Fleckchen Erde wie extra für Maler und Poeten geschaffen. Wenn aber Gott Pluvius für längere Zeit seine Schleusen öffnet, wenn alle Quellen springen und Hunderte von Rinnsalen die Abhänge hinunter ihre Wasser schütten, denkt die Secura wohl an vergangene Größe und Stärke, steigt in Wut über ihr jetzt schmales Bett und rächt sich an manchen Stellen durch Auswühlen eines neuen Bettes am Wicht Mensch, der es gewagt hat, ihr Schranken setzen zu wollen. Ein solches Bett nun befand sich just an der Stelle, von der ich berichten will, auf luxemburgischer Seite am rechten Ufer, bei trockenem Wetter mit stagnierendem Wasser gefüllt, bei Regenwetter einen dem alten Lauf ebenbürtigen Flußarm bildend. Das zwischenliegende Eiland glich in diesem letzteren Fall einem aus Gerölle gebildeten Tumulus, der das Hünengrab irgend eines Alarich bergen konnte.
„Besitzer der jenseitigen, am belgischen Ufer gelegenen Wiesenparzellen war vor etlichen Dezennien der wackere Bürgermeister von Tintange, Herr Brücher. Als nachdenkender Agronom, erfahren in Wiesenverbesserungsarbeiten, kam er auf den klugen Einfall, durch geschickt ausgeführte Eindämmungsarbeiten an seinem Eigentum den temporären Charakter des neuen von der Sauer gebildeten Flußbettes in einen permanenten umzuwandeln. Dabei erzielte er den doppelten Vorteil einer bedeutend besseren Bewässerung seiner Wiesen und - - die gleichzeitige Einverleibung des besagten Inselchens, das seit der Keltenzeit her Niemandsland war, in sein Besitztum.
„Damit war also dem Staat Luxemburg schmerzlos ein zwar nahezu abgestorbenes Glied, aber immerhin doch ein Glied amputiert. Wohl ein Dutzend Jährchen konnte sich Herr Brücher des guten Erfolges seiner mühseligen Arbeiten freuen. Aber auch in diesem kühlsten der Gründe kann das Sonnenlicht keine bösen Taten unbeschienen lassen. Das umlaufende Gerücht brachte bald sämtliche in dieser Sache kompetente und inkon petente Beamten im Großherzogtum auf die Beine, vom Wegewärter von Bondorf angefangen über Bürgermeister, Geometer, Baukontrolleur, Tistriktskommissar hinaus bis zum Innenminister. Ihre Berichte, Avis, Protokolle, Napporte, Vermessungen usw. lösten bei ihren Kollegen drüben in der Provinz ähnlich voluminöse Gegen-Berichte usw. aus. Die Schreibereien verdickten sich hüben wie drüben in mächtigen Dossiers und nach langen Monaten standen immer noch die Streitenden einander gegenüber, wie die beiden Ziegenböcke in der Fabel auf dem schmalen Steg. Es soll zwar unerwiesen geblieben sein, daß von drüben schließlich einmal die urwüchsige Aufforderung, bekannt aus Goethe’s „Götz von Berlichingen“ herüber geflogen sei; jedoch glaublich und wahrscheinlich ist die Mär, daß wenigstens die jene Aufforderung stets begleitende Handgeste beobachtet worden sei. Für uns Grands-Ducaux mußte es doch verständlich sein, daß die Belges nicht leicht einen der ihrigen im Stich lassen konnten, der nicht grade einer der Letzten war. Als trotz allen Pochens des seligen Herrn Kirpach drüben alles in staubigen Aktendeckeln weiterschlummerte, wandte dieser sich endlich an seinen Kollegen vom Äußern, Exc. Eyschen der ja ganz speziell bezeichnet war als Hüter der Unversehrtheit des großherzoglichen Territoriums. Dieser durfte doch den durch unsere Herrscherin geleisteten Eid «de maintenir l’intégrité du territoire» nicht ungerochen von einem Ausländer zum Falscheid stempeln lassen. Ob nun Herr Eyschen in seiner Eigenschaft als Kriegsminister und Generalissimus der bewaffneten Macht durch Säbelrasseln zu Bruxelles Erfolg hatte, oder ob er durch die Suada des mündlichen und schriftlichen Wortes seiner Beweisführung, Genugtuung erhielt, bleibt einer späteren Forschung aus den Geheimarchiven zu Bruxelles festzustellen vorbehalten. Kurz, die verlangte restitution de territoire Grand-Ducal wurde höflichst unter Entschuldigungen vom belgischen Minister des Äußern, Herrn de Favereau, zugestanden.
„Und wenn Sie, Herr Redakteur, nun im nächsten Frühjahr wenn die Sonne die schroffen Abhänge zum „Hellekessel“ und den „Oeiler-Léen“ zugänglich gemacht haben wird, bei mir in der Ausstaffierung der Jünger Petri Einkehr halten wollen, will ich mit Ihnen zum Deich Brücher wandern, und weder meine noch der Forellen Schuld soll es sein, wenn Sie nicht die Vierpfündige aus dem Bondorfer Mühlenwog daselbst, und zwar heute wieder auf heimatlichem Boden, übertrumpfen werden. Nachher wollen wir einige Schritte daneben uns auf den Steinresten des Kastells niederlassen, wo ehedem der römische Feldherr Labienus seinen Kohorten befahl, und dabei den Gedanken ausspinnen, wie wohl dieser Mächtige verfahren wäre, wenn ihm die Belgen einen casus belli geliefert hätten, wie Brücher unserm frühern Premier.
„Oder wir steigen in die Oetler-Léen und halten Nachgrabungen nach dem unermeßlichen Schatz, den der aus Indien gekommene Missionar Schaak vor den sans-culottes dort in Sicherheit gebracht und womit er das Unternehmen Klöppelkrieg finanziert hatte.“