Original

29. November 1923

Also ich bitte Sie, haben Sie je solch aufheberischen alten Mückenseiher gesehen, wie diesen Wetteronkel!

Kaum steht hier eine harmlose Bemerkung über den ersten Schnee, so schmeißt er den Hebel an der Wetterschalttafel herum und haucht den heiligen Sankt Petrus an, als ob der dafür könnte: Was denn diesem Zeilenschinder einfalle, sich um das Wetter zu kümmern, er, der Chef der Wetterabteilung müsse doch wissen, wenn es zu schneien habe, und er wolle einmal zeigen, wer Herr im Hause sei!

Meinetwegen mag er es regnen lassen, solang es ihm Spaß macht. Der Regen hat auch seinen Reiz, man muß ihn nur verstehen. Ich muß sagen, so wie es eben gießt - es ist Mittwoch, 28. November, 11 Uhr vormittags - das ist schon mehr katastrophal, würde Herr René Blum sagen. Es regnet mir an den Händen vorbei in die Manteltaschen, beim Kragen hinein in den Nacken. meine vordere Hutkrämpe ist das Bett eines Sturzbaches, der sich klatschend vor meine Füße ergießt, - o Lauterbrunn! - die Straße ist eine breite Lache, die den bleifarbenen Himmel spiegelt und in der die Regentropfen ein lustiges Lämmerhüpfen machen. Dies Tanzen und Kribbeln erinnert an Mandolinenspiel.

Und obendrein ist Markt. Wenn es regnet, ohne daß Leute draußen sind, so ist es schließlich, als ob es nicht regnete. Der Regen bekommt seine kulturelle Bedeutung erst dadurch, daß er Kulturmenschen auf die Köpfe fällt. Im strömenden Regen drängen sich der Beachtung in erster Linie die auf, die keinen Regenschirm haben. Heute sind alle jungen Mädchen und Frauen draußen, die im Besitz eines Lederhutes und Ledermantels sind, auch wenn beide nur aus Wachstuch bestehen. Es muß ein Genuß sein, so recht wie eine amerikanische Romanheldin dem Wind und Wetter zu trotzen. Aber nur bis zur halben Wade abwärts. Von da ab wird der Genuß fragwürdig. Denn da hört das Leder auf und beginnen die dünnen Florstrümpfe. Aber heldenmütig erträgt jede den wütenden Sturmangriff der Regentropfen, die ihr wider die Schienbeine klatschen und aus den Halbschuhen heraus quietschend an den Knöcheln emporspritzen, denn nicht wahr, an Seiden- oder Florstrümpfen trocknet der Regen im Nu, während er in Wollstrümpfen sich festsaugt und stundenlang braucht, bis er verdunstet. Nur darauf beruht die Vorliebe der Damenwelt für diese zarte Bestrumpfung, die unter dem dünnen Gewebe die Haut durchschimmern läßt.

Man sah auch Damen mit Regenschirmen, aber diese trugen dann regelmäßig wollene Strümpfe. (Die Damen, nicht die Regenschirme.) Ich stelle zur Erwägung, wo der Kausalnexus zwischen Regenschirm und Wollstrumpf liegt.

Einige alte Damen begegneten mir, die keine Regenschirme trugen. Ob ihre Strümpf von Wolle oder Seide waren, könnte ich nicht beschwören. Es chokierte direkt, daß sie unbewaffnet dem Regen trotzten. Soll die Emanzipierung vom Regenschirm schon bis in diese Schicht vorgedrungen sein? Ach ja, der Krieg!

Und es plätschert immer weiter. Im Schneewasser verändert sich der gegenseitige Prozentsatz zusehends zum Vorteil des Wassers. Bald wird im Schneewasser nicht mehr Schnee sein, als Huhn in einer Geflügelwurst. Schneewasser ist eine besondere Nummer. Es hat etwas an sich, was an Konditorei erinnert. Es lockt zum Hineintreten, weil es so schön platscht. Es spritzt nicht in Tropfen herum, wie der Regen, sondern explodiert in lustigen Fladen, es sieht eigentlich lecker aus - nur dringt es leider durch alle Sohlen und alle Nähte, und es eignet sich auch nicht besonders dazu, daß man darin längere Zeit stehen bleibt, um über die erste Marneschlacht, die Relativitätstheorie und andere Welträtsel zu diskutieren.

So, nun kann sich der Wetteronkel grün und gelb ärgern und an seiner Schalttafel herumfummeln, soviel er will, schlimmer wird’s nimmer.

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KatalognummerBW-AK-011-2520