Die schweizer Journalisten, waren kürzlich einen Tag in Luxemburg. Als wir sie abends frugen, wie ihnen Luxemburg gefallen habe innen und außen herum, sagten sie beschämt, sie hätten es nicht gesehen. Das ist schlimmer, als wenn einer in Rom war und hat den Papst - oder in Chamonix und hat den Mont Blanc nicht gesehen. Indes, es hat auch seine gute Seite. Denn die schweizer Journalisten sagten, nun werden sie ganz gewiß noch einmal wiederkommen, um Luxemburg zu sehen. Am liebsten, wenn der Weißdorn blüht.
Wir freuen uns darauf. Denn es hat sich herausgestellt, daß uns schließlich die schweizer Kollegen am nächsten stehen. Sie haben nicht die Alleinseligmachungs-Psyche der Journalisten, die eine europäische Großmacht vertreten. Sie stehen uns auch näher, als die belgischen Zeitungsleute. Diese sind nur scheinbar die Träger einer Doppelkultur. In Wirklichkeit sind sie Vlamen oder Wallonen, nicht beides zugleich. Im Schweizer aber finden sich der französische und der deutsche Einschlag in derselben Person zu einem Besondern verschmolzen, und dies Besondere ist es, was wir mit dem Schweizer gemein haben. Es war uns ein Genuß, festzustellen, wie die meisten von ihnen da mit denselben Wassern gewaschen sind, wie wir, wie über ihrem Deutsch und ihrem Französisch ihr Schwyzer Dütsch als Muttersprache thront, genau wie bei uns das Luxemburgische. Ich weiß nicht, ob im Schweizer Bundesrat die Verhandlungen mundartlich geführt werden, wie bei uns in der Regierung, aber die schweizer Kollegen reden unter sich, wie ihnen der Berner, Basler oder Züricher oder Appenzeller Schnabel gewachsen ist, und fährt einer ihnen auf französisch in die Parade, so werfen sie die Klaviatur herum und diskutieren auf französisch mit. Ganz wie bei uns. Und auch darin scheinen sie uns zu gleichen, daß ihr Deutsch von der Färbung der Heimatsprache verhältnismäßig mehr an sich hat, als ihr Französisch.
Während sie grade im Arbeitszimmer des Herrn Bürgermeisters von Luxemburg saßen und andächtig seinen Worten über die Zukunft und die Segnungen des Völkerbundes lauschten, schlich ich mich hinein und orientierte mich von einer dunkeln Ecke aus. Gleich als erster fiel mir der Kollege auf, der Herrn Diderich gegenüber in einer Sofa-Ecke saß, allem Anschein nach zufrieden, daß er sich von den Strapazen des Tages unter erträglichen Umständen ausruhen konnte. Er trug einen bräunlichen Samtanzug, darüber eine dunkelblaue Tuchpelerine, und auf eines seiner Knie hatte er einen Schlapphut aufgehängt. Er hatte einen eckigen Bauernschädel, auf dem das schwarzbraune Haar lag wie Hundefell, ein schmales gebräuntes Gesicht mit konvexem Profil, pfiffige Augen und einen breiten Mund, auf dessen dünnen Lippen es abwechselnd von gutmütigem Spott und verhaltener Angriffslust wetterleuchtete. Denken Sie sich einen glattrasierten Franz Seimetz ins Beschauliche übersetzt. Das war der C. A. Loosli, wissen Sie, der unter anderm das Prachtbuch über seinen Landsmann den Maler Hodler geschrieben hat. Er wohnt in Bümplitz bei Bern, wo er seinen Kohl und seine Kartoffeln baut und seine Bücher und Artikel schreibt. Dieser Cincinnatus-Loosli hat mir versprochen, daß er ganz sicher wieder nach Luxemburg kommen wird, und vielleicht wird er über Luxemburg ein Buch schreiben, auf das wir neugierig sein dürfen, denn bis jetzt haben alle über uns geschrieben, ohne uns besonders zu verstehen, und ich meine, wenn einer unserm Wesen beikommen kann, ist es ein Schweizer, weil seine seelische Struktur mit all seiner ungeschlachten Freiheitsliebe und seinem Widerwillen gegen „Fisematenten“ der unsrigen am nächsten kommt. Nur daß wir unsere den gütigen Zufällen der Geschichte und er seine dem grimmigen Standhalten seiner Vorfahren verdankt.
Seit wir in der Schule Wilhelm Tell oder in Kinderbüchern die Geschichte von Arnold Struthan von Winkelried gelesen haben, ist die Schweiz das Land unserer Sehnsucht. Jetzt hat uns die Valuta die Richtung nach Basel verleidet. Aber die schweizer Kollegen sagen, es sei gar nicht so schlimm, mit zehn schweizer Francs lasse sich drüben sehr gut am Tag auskommen. Das bezahlen Sie doch auch an der See und überall. Es ist wirklich an dem, daß man wieder ein paar Wochen in Genf oder Zürich oder Interlaken, in Lausanne, Montreux oder Caux, im Engadin oder sonstwo zwischen Basel und Konstanz verlebt haben müßte, um das Gefühl loszuwerden, daß noch immer Krieg ist.