Original

6. Dezember 1923

Vor ganz genau 25 Jahren, auf Tag und Stunde, am 6. Dezember 1898, vormittags, blieben in der Louvignystraße vor der Druckerei der „Luxemburger Zeitung“ die Leute stehen und horchten gespannt nach dem ersten Stock hinauf. Von dort kam ein Geräusch, das in ganz Luxemburg, im ganzen Land noch niemand gehört hatte. Es klang dem, der über etwas Phantasie verfügte, ungefähr so: In einen Metallbecher fallen klirrend Metalltropfen, 40, 42, 43, 45 - dann langt jemand mit einer Armprothese weit ausholend nach dem Becher, trinkt ihn aus, schluckt geräuschvoll und stellt den Becher wieder hin, wieder fallen klirrend die Metalltropfen, wieder hört man den Ruck der Armprothese und den lauten Schlucker - so ging es am 6. Dezember 1898 im Setzraum unserer Druckerei von morgens bis abends, und so geht es seither ununterbrochen an den Arbeitsfagen das Vierteljahrhundert hindurch.

Es war die erste Setzmaschine, die in Luxemburg aufgestellt worden war. Die Ansprüche, die die Zeit an die Presse stellte, die Notwendigkeit. das Nachrichtenmaterial so rasch wie möglich an die Leser zu bringen, hatten den Verlag der „Luxemburger Zeitung“ veranlaßt, statt des Handsatzes Maschinensatz einzuführen. Zu der ersten Maschine kamen bald zwei weitere, andere Firmen entschlossen sich später zu derselben Neuerung, und heute geht es nirgends mehr ohne Setzmaschine.

Man muß schon eine ordentliche Anstrengung machen, um sich in jene Zeiten zurückzuversetzen. An ihren Kasten standen die Handsetzer, in möglichst bequemer Rhythmisierung ihrer Tätigkeit mit dem ganzen Körper langsam vorwärts und zurück pendelnd, während sie nach dem Buchstaben griffen, ihn zu den andern in den Komposter praktizierten und wieder von vorne anfingen. Ging es gegen Redaktionsschluß, so mußte jede Seite Manuskript in Stücke geschnitten und unter fünf, sechs Setzer verteilt werden, wie der Pfannekuchen, den die Mutter gebacken hat und auf den die hungrige Geschwisterschar mit Mundwasser wartet. Bei jeder Zeile, die man schrieb, war zu bedenken, ob sie auch noch durchginge. Die Setzerei war wie ein sehr dichtes Sieb, durch das die Gedanken nur langsam, unausstehlich langsam an die Öffentlichkeit hinaussickern konnten.

Im Zeitalter der Maschinen war alle Handarbeit mechanisiert worden. Auch im Druckereigewerbe. Nur der Handsatz war seit den Tagen Gutenbergs im Prinzip derselbe geblieben. Die Rotationspressen flitzten in einer Stunde hinaus, was die Typos mühsam an einem ganzen Tag zusammengestoppelt hatten.

Da kam Mergenthaler.

Er war ein thüringer Uhrmacher, der nach Amerika ausgewandert war und dort die Zeilensetzmaschine erfand.

Mergenthaler kommt von Marienthaler, wie Mergen von Märjänn oder Marianne. Da wir in unserm Land ein Marienthal haben und es nicht sicher ist, ob auch eins in Thüringen liegt, so ist es nicht ausgeschlossen, daß der thüringer Uhrmacher Mergenthaler aus der Gegend unsrer Heimat zwischen Mersch und Dondelingen stammt.

Mit einem Druck des Fingers besorgt die Zeilensetzmaschine eine Reihe von Handgriffen, die sonst das Sechs- und Zehnfache an Zeit erforderten.

Und mit einem Schlag waren die Gedanken frei. Sie brauchten nicht mehr ungeduldig zu warten, bis ihre Vordermänner durch die Hände der Setzer hindurch waren, die Tore standen weit auf, alle konnten miteinander ans Licht. Ob deshalb mehr gedacht, mehr geschrieben, mehr gedruckt und mehr gelesen wird, als früher, darauf kommt es nicht an - die Hemmung, die trostlose Verlangsamung, das dichte Sieb, das alles ist beseitigt, wo Gedanken an die Öffentlichkeit streben, finden sie den Weg nicht mehr durch technische Hindernisse verschränkt.

Der arme Mergenthaler ist in Amerika an der Schwindsucht gestorben. Ob er vorher noch einmal das Marienthal, dessen Bäche und Bäume leise in seinem Namen rauschten, wiedergesehen hat?

Es liegt etwas Überwältigendes in dem Gedanken an seine Erfindung. Nichts geht in der Natur verloren und nichts entsteht neu. Auch keine Arbeit. In der Arbeit, die der thüringische Uhrmacher durch alle die Jahre geleistet hat, die er seiner Erfindung widmete, ist die Arbeit konzentriert, die Millionen Handsetzer Gott weiß wie lange noch hätten leisten müssen, wäre die Setzmaschine nicht gekommen.

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  • mod. techn. revolution press
KatalognummerBW-AK-011-2526