Original

14. Dezember 1923

Sie haben sicher schon die diesjährige Weihnachtsnummer der «Illustration» gesehen? Sie ist in 204 000 Nummern gedruckt. Trotzdem ist es dem Buchhändler, der sie hier vertreibt, nicht gelungen, die bestellte Anzahl zu erlangen, und es kostete mich Mühe, ihn und seine Gattin von ihren Selbstmordgedanken abzubringen.

Dies um zu zeigen, wie populär die «Illustration» ist und um außerdem ein Wörtchen über die reizenden Bilder der bekanntesten alten Wirtshäuser in England zu sagen, die die Weihnachtsnummer enthält. Oder vielmehr um daran anknüpfend von alten luxemburger Gasthäusern zu reden.

Die alten «Inns», von denen in der «Illustration» die Rede ist, haben alle ein schmiedeeisernes Schild mit einem Abzeichen, Kreuz, Adler, Roß usw.

Wir hatten in unserm Land manche vorzügliche Gasthäuser, von denen einzelne noch heute in derselben Güte fortbestehen, aber die wenigsten trugen Benennungen nach Art der englischen. Man sagte bei Dondelingesch in Lintgen, bei Reutesch im Holz. bei Majerussen in Martelingen, beim Schwinnen in Wilwerwiltz, bei Simmesch in Ehnen, bei Molitorsch in Bondorf, bei Koenesch in Clerf, bei Netzesch in Wiltz, bei Steffens in Mersch usw. usw., aber nirgends hing weder Roß noch Löwe noch Lamm noch Adler noch Stern noch Kreuz noch Halbmond als Wahrzeichen über der Türe. Doch, in Frisingen, bei Kleins, war es zum Cheval blanc, in Straßen hing auch noch lange am Hause Hemmer ein schönes altes Schild „zum schwarzen Adler“, bei „Dischangs Domenek“ in der Philippstraße war es „zum Roten Kreuz“ und das alte Gasthaus Anders-Vesque stand und steht noch heute unter dem Zeichen des Goldnen Ankers. Sicher stehen noch im Land an den großen Heerstraßen solche alten Häuser mit Aushängeschildern nach englischem Vorbild, unser Korrespondent Letau wird darüber Bescheid wissen. Die Neueren verschmähen es, sich unter das Patronat eines Symbols zu stellen. Von neueren Wappentieren der edlen Zapferzunft gibt es, soviel ich weiß, hier in Luxemburg nur einen goldnen Hahn. Denn Bezeichnungen wie „beim Jean“ oder «Au bon coin» fallen nicht unter dieselbe Kategorie. Heute nennen sie die Lokale lieber nach berühmten großstädtischen Mustern, wie Vauxhall, Tivoli, Majestic, Trocadero, Pole Nord, da steht uns noch allerlei bevor, wir haben noch keinen Maxim, keine Abbaye, keinen Lapin agile und nicht einmal einen ganz gewöhnlichen Moulin Rouge.

Die alte Mode, die Gasthöfe nach Symbolen statt nach dem Namen des Besitzers zu benennen, hat vieles für sich. Wenn ich sage: Ich habe in Türkheim in den „Zwei Schlüsseln“ eine Flasche Kitterle getrunken - so klingt das viel romantischer, als wenn ich sage: Im Hotel Meyer. Und die zwei Schlüssel behält jeder besser im Gedächtnis, als den Namen des Besitzers - der übrigens damals, als ich den Kitterle bei ihm, trank, wirklich Meyer hieß.

In Amerika war ja auch schon vorgeschlagen worden, an den Zügen die Abteilnummern durch Tierbilder zu ersetzen. Es prägt sich einem viel leichter ein, daß man im Kaninchen, in der Taube, im Löwen, im Kanarienvogel, als daß man auf Nummer 1735 oder 7153 seinen Platz belegt hat.

Auch die Apotheker hatten seit jeher die Gewohnheit, ihre Offizinen nach Tieren zu bennen. Bei uns ist nur die „Mohrenapotheke“ unter diesem Namen in den Volksmund übergegangen. Die übrigen Tiere hatten für den gemeinen Mann zu hochgestochene Namen. Wer unter der Marke seines Wappentieres populär werden will, darf kein Känguruh, keine Klapperschlange, keinen Ichthyosaurus und kein Rhinozeros wählen.

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KatalognummerBW-AK-011-2533