Original

21. Dezember 1923

Ein geräumiger, hoch ummauerter Hof hinter ragenden, fensterreichen Fronten. In der Mitte, wie um das geometrische Zentrum ganz genau zu markieren, eine Rußkastanie. Nach der Straße zu ein Gittertor, durch das Kinder neugierig hereingucken, meist kleine Mädchen. Ein beiseite geschobenes, leeres Lastauto verträumt Mußestunden. Es ist leicht mit Schneestaub bepudert.

Ein Bübchen von drei Jahren zieht ein weißes, inwendig blau gestrichenes Miniaturautomobil, das ihm der Sankt Niklaus geschenkt haben wird, an einer Schnur über die hellbraunen kleinen Moselwacken, mit denen der Hof bekiest ist. Es trägt eine weiße Wollmütze, ein rehfarbenes Regenmäntelchen, seine nackten Waden stecken in weißen Söckchen, von denen grade ein fingerbreiter Rand über den Schuhen herausguckt. Das Bübchen wird von einer Bonne in weißer Schürze und hellbraunem Spenser betreut. Diese Bonne ist sicher eine gesunde, starke Person, und wenn sie ihren kleinen Schutzbefohlenen mit ihrem Leibe decken müßte, so wäre er sicher nicht schlecht gedeckt.

Für den Augenblick sucht sie sein Interesse für das Lastauto anzuregen, das Büblein aber verhält sich ablehnend. Ihm ist sein eigenes kleines Auto wichtiger. Er zieht es vorsichtig über den Moselkies und dreht sich alle Augenblicke um, ob es noch auf den Rädern steht.

Endlich gelingt es der Bonne, seine Aufmerksamkeit für das Lastauto zu fesseln. Sie muß ihm etwas besonders Aufregendes zugeraunt haben, denn das Büblein tut einen lustigen Satz und haut ein paarmal mit beiden Fäustchen rasch vor sich in die Lust, wie um einen Vorsatz zu bekräftigen.

Die Bonne hebt den Kleinen auf den Arm, trägt ihn zu dem Lastauto und setzt ihn auf den Führersitz. Also das war es! Er wollte ans Steuer! Seine Freude wurde zur Begeisterung, als die Bonne ihm zeigte, wie man der Huppe das stilisierte Gebrüll entlocken kann, vor dem auf der Straße alles Platz machen muß. Seine Kinderhände konnten weder mit Steuer noch mit Huppe etwas anfangen, aber er war doch an der Stelle, wo andere es konnten und wo auch er es einmal können würde.

Glückselig über das Experiment ließ er sich nach einer Weile von dem verantwortungsvollen Sitz herunterheben und kehrte zu seinem Zwergauto zurück. Die Bonne machte ihn auf die Kinder am Tor aufmerksam, und er nahm die Schnur, an der sein Spielzeug hing, aus der rechten in die linke Hand, um mit der Rechten wohlerzogen den Kindern einen flüchtigen Gruß zuzuwinken. ....... ....................

Wenn später einmal, nach langen Jahren, seine Königliche Hoheit Großherzog Jean von Luxemburg das Stammschloß der Oranier in Vianden besuchen wird, wenn der Herr Bürgermeister ihn in wohlgesetzter Rede begrüßen und ihm als Willkommtrunk ein Glas Viandener darreichen wird, wenn ihm die schönsten Mädchen von Vianden in der Tracht der Gräfin Yolanda Blumensträuße überreichen werden, dann wird Großherzog Jean vielleicht sagen, daß er, vor vielen Jahren, am Mittwoch, 19. Dezember 1923, im Schloßhof zu Luxemburg spielte, während oben im Saal, hinter dem Fenster, durch das ihm der treue alte Joseph Rollinger so zärtlich zusah, um die Geschicke Viandens gewürfelt wurde und Herr Petges ingrimmig dafür kämpfte, daß der Staat die arg zerzausten Geschäfte des Viandener Bähnchens unter seine schützenden Fittiche nähme. Und Herr Petges wird als rüstiger Achtziger - sagen wir mal - daneben stehen und denken: „Verdammte Mühe hat es damals gekostet, aber mit Gottes und des Herrn Präsidenten Hilfe haben wir es glücklich geschafft!“

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