Ignaz Brechstengler und Willibald Schloßknacker kamen selbander den Grundberg herauf.
Sie hatten drei Jahre Zuchthaus abgesessen. Für diese drei Jahre hatten sie seinerzeit geschoben, was man dafür tarifmäßig schieben kann. Jetzt hieß es für sie, sich eine neue Zukunft gründen.
Sie waren glatt rasiert und besser gekleidet. Außer der Barschaft, die ihnen als Anerkennung für dreijähriges Stanzen von Sohllederstückchen für Fußmatten bei ihrem Abschied eingehändigt worden war, besaßen sie noch einige Reserven, die sie nun behoben.
Dann gingen sie ins Grand Hôtel Brasseur zu Mittag essen. Sie lebten aus Prinzip immer so, als ob sie nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hätten.
Sie trafen ihren Freund Egon, der längere Zeit in einem der ersten Häuser Kammerdiener gewesen war und den sie fragten, was oder vielmehr wo sie am besten anfangen könnten, sich eine neue Zukunft zu gründen.
Er riet ihnen, sich gleich die letzte Nummer des „Memorial“ zu kaufen. Da fänden sie alle Einwohner mit ihren Steuerquoten vermerkt und könnten jeden einzelnen nach seiner Ergiebigkeit abschätzen.
Sie dankten ihm und sagten, sie wollten sofort seinen Rat befolgen.
Auf die Frage, ob er nicht mittun wolle, meinte er, es ginge wohl nicht, er habe nächste Woche in Berlin bei Max Reinhardt die Première seines neuesten Dramas „Mark und Bein“.
Sie schoben es also allein.
Sie wollten methodisch nach Straßenzügen vorgehen.
Die zwei ersten Villen in der Straße eines Außenviertels, mit dem sie den Anfang machen wollten, gehörten die eine einem höheren Beamten, die andere einem Großkaufmann.
Der höhere Beamte stand in der Steuertolle mit einem Einkommen von 32 000, der Großkaufmann mit einem solchen von 12 000 Franken.
Ignaz Brechstengler sagte gleich, er wähle den mit 32 000 Franken und Willibald Schloßknacker war es zufrieden.
Um zwei Uhr in der Nacht wollten sie ihre Operationen beginnen und um vier war das Stelldichein an der Neuen Brücke, hinter der Sparkasse.
Ignaz Brechstengler war schon um drei Uhr da. Seine Beute bestand aus einer silbernen Zuckerzange und einer Meerschaumpfeife.
Er war durch die Küche eingebrochen. Da war ihm sofort der Umfang seines Mißgriffs klar geworden. Auf dem Tisch standen die Kaffeetassen - ungespült. Offenbar hatte die Hausfrau schon wieder kein Mädchen. Auf den Tellern lagen Wursthäute und Käserinden, und auch die nicht einmal in solcher Menge, daß man auf eine Orgie hätte schließen können. Im Eßzimmer waren Bestecke und alles sogenannte Silber aus gemeinem Zinn, im Herrenzimmer fehlte jedes Möbel, das von ferne einem Kassenschrank geglichen hätte, auch die weiteren Exkurse Brechstenglers trafen nirgends Anzeichen, die das Vorhandensein von irgendwelchen Schätzen verraten hätten. Die Zuckerzange und die Meerschaumpfeife waren das Kostbarste gewesen, was er gefunden hatte.
Punkt vier Uhr fuhr am Platz des Stelldicheins ein Automobil an, dem Willibald Schloßknacker lächelnd entstieg. Es enthielt mehrere Kisten Champagner, Caseler Niesgen, Cognac, Benedictine, Trüffelpasteten usw.
Willibald klopfte grimmig lachend auf seine linke Brusttasche und sagte:
„Aus dem Amerikaner. Zirka 50 000. Waren anscheinend grade eingegangen. Und Aktien! Und Obligationen! Junge Junge!“
„Woher hast du denn das Stinkmoppel?“
„Das hab ich im Garten aus der Garage geklaut. Und Lebensmittel für ein paar Tage hab ich auch mitgenommen.“
Ignaz Brechstengler träumte vor sich hin.
„Wie kommt es denn nun aber, daß der eine mit 32 000 Franken Einkommen ....?“
„Lieber Ignaz, wenn ich mein ganzes Geld zum Steuereinnehmer trage, kann ich mir kein Auto und keinen Schampus kaufen.“
Ignaz Brechstengler fand, daß die Ehrlichkeit unter den Menschen immer seltener wird.