Auf einer der blumigen Wiesen, auf dessen nach einer weit verbreiteten Volksvorstellung die Bewohner des Himmels in ihren Mußestunden spazieren gehen, begegneten sich der hl. Nikolaus und das Christkindchen.
„Es war eine kluge Maßnahme,“ sagte das Christkindchen, „den Betrieb hier oben gleich auf die Ewigkeit einzustellen. Müßte mit dem Wandel der Zeiten, der Mode und des Geschmacks gerechnet werden, so gäbe das alle zehn bis zwanzig Jahre erhebliche Kosten.“
„Bei den Menschen drunten,“ sagte der heilige Nikolaus, „besteht dieser Mißstand und wird von denen, die das Geld dazu aufbringen müssen, schmerzlich empfunden. Ich habe mir sagen lassen, daß allein der Aufwand für unsere beiden Feste das Hundertfache von dem beträgt, was früher für Weihnachten und Niklaus ausgegeben wurde.“
„O ja,“ sagte das Christkindchen, „besonders für meines.“
Der hl. Nikolaus lächelte ein wenig gezwungen, denn er mußte zugeben, daß er in Betracht der Popularität in ein scharfes Rennen mit dem Weihnachtsbaum geraten war.
„Ich erinnere mich noch genau, wie drunten ganze Völkerstämme zu deiner Feier als Extra nur ein Gebäck aus gemeinem Teig kannten, das sie Kindel nannten, weil es oben und unten, wie die Kartenbilder, einen Kopf hatte.“
„Und heute!“ trumpfte das Christkindchen auf. „Heute plündern sie ganze Wälder, damit jeder zuhaus einen Weihnachtsbaum anstecken kann.“
Der hl. Nikolaus bemerkte nicht ohne eine gewisse, milde Boshaftigkeit, die er in seiner Stellung dem Sohn des Prinzipals gegenüber sich allenfalls leisten durfte:
„Ich habe gehört, es gibt sie schon mit Musik und einem Mechanismus, der aufgezogen werden kann, wie ein Grammophon.“
„Bei mir,“ warf das Christkindchen ein, „ist die Poesie eben die Hauptsache.“
„Ich weiß, du hast deine Kundschaft meist unter den Erwachsenen. Ich arbeite nur mit der Kinderwelt. Kinder wissen nicht, was Poesie ist. Sie wollen essen, trinken, schlafen und haben. Am Christbaum interessiert sie nur das, was sie davon haben können. Das Glöckchen, das die Bescherung einläutet, der Flitter am Baum, der Geruch der angesengten Zweige, die Lichter, die Weihnachtslieder, das alles ist ihnen nur verwirrende Zugabe zu den Puppen, Pferdchen, Pfeffernüssen und Bonbons. Aber das alles vergärt bei den Erwachsenen mit der Zeit zum süßen Wein der „Weihnachtsramantik.“
„Du hast recht,“ sagte das Christkindchen. „Mein Reich ist größer, als deines, denn du hast nur die Kinder.“
„Die genügen mir,“ sagte Sankt Nikolaus. „Sie glauben an mich. Kinder glauben gern, daß ihnen ein alter Mann mit langem weißem Bart etwas schenkt. Aber es wird ihnen nie natürlich scheinen, daß sie von einem Kind etwas geschenkt bekommen. Sie witrern bei allen Altersgenossen die Selbstsucht, die die Mutter Natur in die Kindesseele gelegt hat.“
„Wie die Welt läuft“ - meinte das Christkindchen - „wird es übrigens über kurz oder lang keine Kinder mehr geben.“
„Später wirst du darüber anders denken,“ lächelte Sankt Nikolaus. „Dann wirst du sagen: Wenn Ihr nicht werdet, wie diese Kleinen usw.“
„Ich meinte es natürlich nur bildlich,“ sagte das Christkindchen.
„Ich weiß. Aber wenn es im Geist keine Kinder mehr geben wird, wird es sie auch im Fleisch nicht mehr geben. Denn dann wird die Selbstsucht so groß geworden sein, daß alles sich an den Vater- und Muttersorgen vorbeidrücken wird. Sie werden noch den Mund spitzen, aber nicht mehr pfeifen. Und dann können wir beide einpacken, du mit deinem Tannenbaum und ich mit meinem Eselchen. Entschuldige, ich muß zu meiner Kegelpartie.“
Das Christkindchen dachte: „Aus dem spricht der Konkurrenzneid.“