Im diesjährigen „Kalender für das Trierer Land“ findet sich mit der Signatur H. folgende interessante Mitteilung über einen alten Dorfbrauch an der unteren Saar:
„Vor dem Schulhause zu Schoden a. d. Saar lag bis vor dem Ausbruch des Weltkrieges ein uralter Baumstamm, der niemanden und doch allen gehörte und der im Dorfleben eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Man nannte ihn kurzweg den „Langbaam“. An den Sonntag-Nachmittagen und bei besonders wichtigen Anlässen, auch an Werkeltagabenden, kam dort die reifere Männerwelt zusammen zu gemeinsamer Durchberatung wichtiger Dorfangelegenheiten und Ereignisse. Alles Für und Wider der zur Beratung stehenden Sache wurde sehr eingehend und reiflich überlegt, und es wäre sehr schwer gewesen, später gegen die auf dem Langbaam gefaßten Ent- schließungen anzukämpfen. Niemand durfte ungestraft verächtlich oder mißachtend am Langbaam vorübergehen. Denn für jeden, der später im Dorfleben zu Amt und Ehren kommen wollte, war der Langbaam die Schule der Vor- und Ausbildung. Die Dorfältesten hatten die Führung, die Jüngern waren die „Hörenden“; und es war eine selbstverständliche Sache, daß der Rat der Alten respektiert wurde. Strenge Vorschrift für die gesamte Männerwelt war, daß bei einer Gemeinderats-, Kirchenrats-, Waisenrats- oder ähnlichen Wahl nur derjenige als Kandidat in Betracht kommen konnte, der wenigstens zehn Jahre lang auf dem Langbaam gesessen und dort sich die Geeignetheit für das angestrebte Amt erworben hatte. - Um von frühester Jugend auf die Ehrfurcht vor dem Langbaam zu pflegen, war durch ungeschriebenes Gesetz festgelegt, daß bei der Aufnahme der Schulneulinge dasjenige Kind in der Klasse der Rekruten den ersten Platz einnehmen durfte, das am ersten Schultage nach Ostern zuerst auf dem Langbaam saß.“
Solche Langbäume gab und gibt es auch in unserm Ländchen unzählige. Und wenn Lentz den Luxemburger in Amerika singen läßt: „Ob onser Bänk virun der Dir,“ so spielt in den allermeisten Fällen in der Erinnerung des Sängers ein Baumstamm oder eine Treppenmauer die Rolle der Bank. Es ist auffallend, wie wenig die Bauern für ihre Bequemlichkeit um ihre Häuser tun. Wo sind in unsern Dörfern die Häuser, vor denen eine Bank zur Ruhe einladet? An lauen Sommerabenden, zumal Samstags, wenn man sich am andern Morgen ausschlafen kann, lagert sich vor einzelnen Häusern die ganze männliche Nachbarschaft und benutzt als Sitzgelegenheit alles, was sich dazu von nah und ferne eignet. Das Ideal ist der „Kill“, als welcher sich in unserer Mundart der hochdeutsche Kiel mit der Bedeutung Baumstamm heimisch gemacht hat.
Die ganz Anspruchslosen aber setzen sich bei trocknem Wetter einfach auf den Boden mit dem Rücken an die Mauer und lösen Welträtsel und beraten wichtige Angelegenheiten und Ereignisse gerade wie die Schodener auf ihrem Langbaam.
Hoffentlich ist dort der alte Brauch durch den Krieg nicht abgeschafft. Denn es ist vielleicht wichtiger und bedeutungsvoller, daß die Schodener ihren Langbaam behalten, als daß die Hohenzollern auf dem deutschen Kaiserthron blieben.