Original

1. Januar 1924

Schwarmweise, wie die geschwätzigen Stare, fliegen heute die Glückwünsche über Land.

Sie sind im Allgemeinen die bequemste und billigste Art, Liebe zu erweisen.

Der bequemste Glückwunsch im Besondern ist der: Ich wünsche dir alles, was du dir selber wünschest. So brauche ich kein Gehirnschmalz zu verbacken, um auszuklügeln, was dir ganz besonders Freude machen würde und ich bin meiner Sache in Bausch und Bogen sicher.

Doch muß zugegeben werden, daß das ein Banausenstandpunkt ist. Erstens weiß noch lange nicht jeder, was er will. Es gibt ganz sicher Leute, denen man eine große Freude damit machen könnte, wenn man ihnen ihre verschwommenen Sehnsüchte als klar umgrenzte Gegenstände vor Augen rückte und ihnen dazu sagte: Seht Ihr, das alles soll Euch das neue Jahr bescheren.

Sodann ist es für jeden Menschen eine Genugtuung, zu hören, daß sich ein anderer im Detail um sein Glück sorgt und nicht ihm allein die Mühe überläßt.

Es gibt nichts, das so platonisch wäre, wie ein Glückwunsch. Was man sich selber wünscht, darnach strebt man. Hinter solchem Wunsch steht immer der Wille und steht manchmal die Anstrengung, das Streben nach Erfüllung. Hinter dem Glückwunsch an fremde Adressen braucht nicht einmal der Wille zu stehen, daß man eventuell zur Erfüllung beitrüge. Der Wunsch, vielmehr der Ausdruck des Wunsches genügt. Der kostet nichts, als eine Feder voll Tinte oder eine halbe Zungenspitze voll Speichel. Sogar der Zusatz: Hoffen wir, daß usw., bedeutet eine Minimalleistung. Er wird übrigens in den meisten Fällen nur bedingungsweise geglaubt.

Wer überhaupt ernstlich damit rechnet, daß seine Glückwünsche geglaubt werden, ist vor Illusionen zu warnen. Von Glückwünschen wird in der Regel nur so viel geglaubt, als davon ernst gemeint ist.

Wie der andere wissen kann, was und wieder ernst gemeint ist?

Dafür hat jeder ein sehr empfindliches Organ. Man braucht gar nicht gleich an den Erbonkel denken, dem die Neffen und Nichten noch ein re langes Leben wünschen. Jeder wittert, was ihm der andere aufrichtig wünscht. Wie jener Leutnant, der beim Salutieren von Rekruten seiner Kompagnie sagte: „Man hat immer das Empfinden, daß sich die Kerle etwas Unanständiges dabei denken!“ Glaub nur ja nicht, Du seiest für Deine Bekannten ein Brief mit sieben Siegeln. In jedem Kreis von Menschen hat einer vom andern seine feste und bestimmte Meinung. Du kannst das an einer täglichen Erfahrung feststellen. Täglich kann es geschehen, daß Du Dich an ein Gespräch erinnerst, das Du mit einem Bekannten vor einiger Zeit geführt hast, Du weißt nur nicht mit wem. Name und Gesicht fehlen, aber der Ma in seiner seelischen Struktur steht deutlich vor Dir. Du weißt genau, ob es jemand war, der Dir sympathisch oder unsympathisch ist, der gescheidt oder dumm, zuverlässig oder falsch, herrisch oder schmiegend, imposant oder lächerlich, ernst oder verspielt ist usw. usw. Das seelische Etui sozusagen, das der Betreffende und nur er hineinpaßt, ist vorhanden, nur die Person fehlt.

So genau, siehst Du, weißt Du über Deine Bekannten Bescheid, und folglich auch, wieviel von ihren Glückwünschen aufrichtig gemeint ist.

Das Gegenstück zum Glückwunsch ist der Fluch. Man kann im allgemeinen sagen: So wenig es ernst gemeint ist, wenn jemand sagt: Der Teufel soll dich vom Fleck weg mit Haut und Haaren holen - ebensowenig ist es ernst gemeint, wenn er sagt: „Ich wünsche dir alles Gute!“ Denn trotzdem jeder weiß, daß er über das Füllhorn des Glücks mit nichten verfügt, so begleitet er doch jeden Glückwunsch auch bewußt mit einer restrictio mentalis. Gesetzt das Leben wäre ein großes Warenhaus. in dem „alles Gute“ im Sinn obigen Wunsches in Schubläden und Regalen verteilt wäre oder auf Stapeln herumläge und Du dürftest hindurch gehen und Dich nach Herzenslust bedienen: Was gilt, der Glückwünsch der Dir alles Gute gewünscht, hätte und Dir beim Einheimsen zusähe, bekäme sehr bald den Eindrcuk, daß es nun des Guten für Dich genug wäre und geböte halt.

Wir können geben und nehmen, aber wir können nicht machen, daß unsere Glückwünsche und unsere Flüche in Erfüllung gehen. Sonst bestünde die Welt keine acht Tage mehr.

Nach allem Vorhergehenden wirst Du mich geneigter Leser, von den üblichen Neujahrswünschen heute gerne entbinden.

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