Während Paris uns mit der lustigen Zweideutigkeit des «Monte là-dessus» bedenkt, durchnäselt das Grammophon alle Länder deutscher Zunge mit dem klebrigen Gassenhauer: „Du brauchst mir ja nicht treu zu sein ...“
Bei Suppé fing es vor einem Menschenalter an: „Hab ich nur deine Liebe - Die Treue brauch ich nicht.“
Da war also wenigstens noch von Liebe die Rede, sie war die Hauptsache, die Knospe, aus der die Treue bricht. Die Treue wurde nicht verschmäht, im Gegenteil. Nur war sie nicht das Primäre, sie wurde als selbstverständliche Zulage hingenommen. Liebet euch, alles Übrige wird euch zugegeben!
Dann hörten wir vor einigen Jahren den Refrain: „Warum denn weinen, wenn man auseinandergeht - Wo an der nächsten Ecke schon ein andrer steht? - Man sagt auf Wiedersehn und denkt sich bloß - Da bin ich glücklich wieder ein Verhältnis los.
Also doch ein Verhältnis. Das bedeutet immer noch Zuneigung. Liebe auf Zeit und auf Kündigung, aber immerhin Liebe.
Heute singen sie: „Du brauchst mir ja nicht treu zu sein - Nur ab und zu bitt ich dich für mich frei zu sein - Wenn du nur einmal bei mir bist - Was liegt mir dran, daß nachher dich ein andrer küßt!“
Da wird endlich jedes überflüssige Gefühlsgepäck zuhause gelassen. Das Verhältnis wird auf eine kurze Zusammenkunft „ab und zu“ eingeengt. Wie oft? Das ist bei jedem Einzelnen Sache des Temperaments. Wir haben es mit einem physiologischen Vorgang zu tun, der im Koofmich-Ton erledigt wird. Er unterscheidet sich von der Verdauung nur durch einzelne Äußerlichkeiten.
Die Zeiten sind vorüber, wo Romanschreiber die Priesterinnen der Venus Vulgivaga und die Kellnerinnen sogar in Berlin mit einem Widerschein von Liebesromantik ausstatteten. Dumas sprach noch von der Möglichkeit, durch die Liebe wieder zu einer Art Jungfernschaft zu gelangen, Daudet hat in seiner Sappho eine packende Liebestragödie zwischen einer Allerweltsmätresse und einem unschuldigen jungen Mann aus der Provinz glaubhaft entwickelt. Heute scheinen die Deutschen froh zu sein, daß sie diesen unklaren, schwülen Niederungen, in denen der Genius der Gattung im Trüben fischt, entronnen sind, und sie prcisen den Geschlechtsverkehr als reines Geschäft, etwa wie man alkoholfreien Wein oder nikotinfreie Zigarren anpreist. Sie wollen vor allen Dingen Klarheit, die Sentimentalität, glauben sie, hat ihnen zu oft üble Streiche gespielt. Sie mögen recht haben. Es ist für jeden etwas Schönes um die Herrschaft über seine Gefühle. Die Welt gehört, wie schon des öftern festgestellt wurde, den kalten Herzen. Vielleicht ist es sehr diätetisch, daß man die Liebe auf die Rolle des Stuhlgangs zurückführt.
Aber Sache der Knoten ist es, den Stuhlgang zu besingen.