Original

6. Januar 1924

Wenn man heutzutage nicht weiß, wovon man reden soll, redet man vom Wetter, von der Valuta oder von der Militärvorlage.

Über das Wetter und die Valuta streitet man sich nicht. Das sind zwei Constante, die man als solche hinnehmen muß.

Über die Militärvorlage dagegen können die besten Freunde sich in die Haare geraten und die besten Köpfe im Laufe der Zeit und je nach den Verhältnissen anderer Meinung werden.

Als Jahre lang vor dem Krieg Staatsminister Eyschen unter Hinweis auf die verhältnismäßig beängstigende Zahl der fremden Arbeiter im Industriebezirk von der Notwendigkeit einer Militärreform sprach, sagte ein Führer der klerikalen Partei, niemals dürfe es dahin kommen, daß unsere Bauernsöhne ihr Blut für die Kassenschränke der Industrie vergießen müßten.

Heute steht die ganze Militärreform auf den Schultern der Rechten.

Vor einem halben Jahrhundert wandten sich die Vertreter der Industrie in der Kammer gegen die Miliz und eine angeblich übertriebene Verstärkung der Militärmacht unter Berufung auf den friedlichen Charakter der Bevölkerung. Norbert Metz sagte, wir sollten nicht den militärischen sondern den nationalen Geist in unserm Ländchen pflegen, und Alexis Brasseur bewies per a + b die Unmöglichkeit gefährlicher Ruhestörungen.

Das war in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Seither hat der Lauf der Ereignisse gezeigt, daß jene Beweisführung nicht mehr Stich hält. Die Kriegs- und Nachkriegsjahre haben mit aller wünschenswerten Deutlichkeit den Beweis geliefert, daß es auch bei uns ohne das Eingreifen einer hinreichend starken Militärmacht zu Ruhestörungen kommen kann, deren Folgen nicht nur für die Industrie, sondern auch und vielleicht viel unmittelbarer für die Besitzer von Kaufläden und für allerhand Träger der staatlichen Autorität unabsehbar wären.

Wer aufrichtig sein will, darf in die Erörterung dieser Frage keine Leidenschaft hinein tragen. Sie will mit Vorsicht und Arithmetik behandelt sein. Wenn je, so trifft hier das Wort zu: Gouvorner, c’est prévoir.

Im Staat hat das Recht, wer die Macht hat. Der Zynismus dieses Ausspruchs ist nur scheinbar. Sowie der Inhaber der Gewalt davon einen rechtswidrigen Gebrauch macht, entgleitet sie ihm. Die Minorität schwillt zur Majorität an und hilft sich. Sie hilft sich auf gesetzlichem Weg durch die Wahlen oder auf ungesetzlichem Weg durch die Revolution. Indem sie so in den Besitz der Macht gelangt, bringt sie das Recht auf ihre Seite.

Macht und Recht werden in geschriebenen Normen zum Gesetz. Aber: Quid sunt leges sine moribus? Was sind Gesetze ohne Sitten, das heißt ohne den Willen, sich ihnen zu fügen, Aber auch: Quid leges sine militibus? Was sind Gesetze ohne Soldaten, das heißt ohne das Mittel, sie gegen Widerspenstige auszuführen?

Wer an der Macht ist, braucht immer das Werkzeug, sie auszuüben. Sonst wäre es den Minoritäten zu leicht gemacht, das Staatswesen zu revolutionieren, und die Revolutionen wären, statt als naturnotwendige Umwälzungen Berechtigung zu haben, eine unablässige Beunruhigungsgefahr ohne Gewähr einer Stabilisierung nach der andern Richtung.

Reden wir schließlich nicht von einer Prätorianergarde der Industrie oder der jeweiligen Majorität. Jeder Faktor im Staat hat an der Aufrechthaltung der Ordnung das Interesse, das seiner Bedeutung im Staatshaushalt entspricht. Wenn wir hier zu einem überwiegenden Teil von den Steuern der Industrie leben, so gibt das den Maßstab für das Interesse, das wir alle an dem Schutz ihrer Produktionsmittel haben.

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