Original

9. Januar 1924

Ein hiesiger Kaufmann begegnete mir kürzlich und keilte mir mit allen Zeichen innerer Genugtuung mit, daß er eine altrenommierte Mostrichfabrik erworben habe, die er nun zu neuer Blüte bringen und unbegrenzten Möglichkeiten entgegenführen wolle.

Da ist also jemand, dem der Mostrich fortan zum Lebensinhalt werden wird.

Lachen Sie nicht. Es ist um den Mostrich eine viel ernstere Sache. als Sie leichtfertig und wegwerfend zu denken geneigt sind. Der Mostrich muß schon an der Wiege unserer Kultur gestanden haben. Sein Vater Senf heißt in allen Sprachen ähnlich: Sinapis, senevé, sanvre, senve, Senf usw. Von seiner Mutter, geborenen Most, hat er den Familiennamen Mostrich, burgundisch moutarde, wallonisch mostade. Hennegau moustage, provenzalisch mostarda, katalonisch mostassa, spanisch mostaza, portugiesisch und italienisch mostarda, usw. Ein altes französisches Sprichwort heißt: De trois choses Dieu vous garde, Du bœur salé sans moutarde, D’un valet qui se regarde, D’une femme qui se farde. Mit eiteln Lakaien und geschminkten Frauen haben die meisten meiner Leser wenig zu tun, aber Rindfleisch ohne Mostrich wäre eine Schande für jeden Kirmestisch, und sei es in der bescheidensten Tagelöhnerhütte.

Darum ist auch die Anekdote von dem biedern Bauersmann, der sich in Unkenntnis des Mostrichs ihn dick wie Quarkläse aufs Brot geschmiert hätte, innerlich unwahrscheinlich.

Die einzige Tugend, die der Mostrich haben muß, ist Stärke. Er ist stark oder er ist gar nicht. Alle alten Luxemburger kennen noch den Spruch: „En aß staark we’ Micheelissen hire Moschtert.“ Aber seine Stärke wird gemildert durch den Duft, der ihm innewohnt und der durch den Duft keines andern Gewürzes erreicht wird. Es gibt ja vielfach MostrichErsatz, Meerfettig, Worcestershire-Sauce usw. Einer ist möglicherweise stärker, der andere hat einen penetranteren Geruch, aber in keinem klingt, wie im Mostrich, fast möchte ich sagen das Lied: Teure Heimat!

Sie sehen, dem Mostrich wird hier alle Ehre erwiesen, die er verdient. Und doch, er ist an und für sich nichts. Als Zugabe ist er ein Leckerbissen, für sich allein existiert er nicht. Niemand wird je so entartete Geschmacksnerven haben, daß er Senf mit Löffeln essen wird, wie Honig. Der Mostrich als solcher schwebt haltlos in der Luft, er ist wie der Efeu, der die Eiche oder eine Mauer braucht, um daran hinaufzuwachsen.

Es gibt auch sogenannte Mostrichmenschen. Diese sind eine beliebte Würze für jede Gesellschaft. Manche Gesellschaft wäre ohne Mostrichmenschen ungenießbar und unverdaulich. Der Mostrichmensch macht sie pikant, prickelnd, in die Nase „brimsend“.

Aber für sich allein genommen ist der Mostrichmensch nicht zu gebrauchen. Da wird er zu prickelnd, zu pikant, seine Stärke wird so stark, daß sie ätzt, und jedermann freut sich, wenn er sich den Mostrichmenschen vom Leib halten kann, grade wie er umgekehrt sich freut, wenn er ihm in Gesellschaft begegnet, wo er wirkt, wie Senf am Rindfleisch.

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  • cultural object: mustard
KatalognummerBW-AK-012-2552