Original

10. Januar 1924

Zur Dicksjahrhundertfeier veranstaltet das „Luxemburger Nationalinstitut“ durch Herrn Professor Dr. König mit geldlicher Unterstützung des Staates eine Gesamtausgabe der Werke von Dicks. Soeben erscheint der zweite Band, bei P. Worré-Mertens, in angemessener Ausstattung. Er enthält Prosaschriften und Lyrik (leider ohne Inhaltsverzeichnis mit Seitenangabe): Sprichwörter, sprichwörtliche Redensarten, Reimsprüche, Assonanzen und Alliterationen, Bezeichnungen für einen Betrunkenen, Nachlese zu der Sprichwörtersammlung, Kinderreime, (Ammenscherze, Wiegenlieder, Kindergebete, Kinderpredigten usw.) - dieser Abschnitt besonders reich ausgebaut - Lieder und Gedichte, darunter „De Wöllefchen an de Fießchen“, „’t Vulleparlament am Grengewald“, und alle die aus der Sammlung „Allerhand vum Dicks“ bereits bekannt und zum Teil populär gewordenen Lieder und Gedichte. Es wird u. a. mit Dank aufgenommen werden, daß beim Bulleparlament bei jedem Vogel die politische Persönlichkeit angegeben wird, die er parodieren soll. Zum Schluß kommen Bauernregeln und, besonders kostbar und einzigartig: Luxemburger Volkslieder aus älterer Zeit.

Wenn das erste Bändchen mit den Operetten von Dicks meist Bekanntes brachte, was die meisten Leser schon auf der Bühne gesehen hatten oder noch sehen werden, so wird in diesem zweiten Band dem Volk ein richtiges Schatzkästlein geboten, in dem etwas wie alter Familienschmuck aufbewahrt wird und das kein Luxemburger in seinem Haus entbehren dürfte.

Hier wird offenbar, wie Dicks zu seiner intimen Kenntnis und seiner aufrichtigen Liebe zum Volk gekommen ist: durch unaufhaltsames Hineinlauschen in seine Seele, durch verständnisvolles Auffangen aller Laute, die von seiner inneren Bewegung Kunde gaben, durch Versenken in seine Geschichte und seine Gegenwart. Der Hundertste macht sich keinen Begriff von den Schwierigkeiten, auf die der Gebildete stößt, wenn er direkt beim Volk Überliefertes sammeln will. In diesem zweiten Dicksbändchen finden wir eine Fülle von Material, das auf diese Weise, von Ohr zu Mund, nicht methodisch bequem durch Fragebogen zusammengetragen ist. Wir können Dicks nicht dankbar genug sein für diese Arbeit, die einen kostbaren Teil unseres nationalen Kulturgutes vor dem Untergang bewahrt hat. Von den meisten dieser Kinderreime und Volkslieder zum Beispiel klingen jedem von uns ein paar Takte, ein paar Verszeilen aus Kindertagen noch in den Ohren und es ist ein Gefühl unsagbarer Bereicherung, wenn hier auf einmal das Ganze wieder vor uns aufsteigt: Als sei ein Teil der verlorenen Kindheit wieder zu positivem Besitz in uns geworden. Wir stehen wieder auf der Dorfstraße im Kreis und zählen ab: Endli mendli sidli sadli reppche schnäppche schnur schnar schnell bell bock! Andere Reime stehen nur teilweise da, einer zum Beispiel fängt an: „Könnt den Her net bal“ ... Da war doch vorher noch etwas wie „Vun der Musel bis ob de Rhein“ und davor noch allerhand rätselhaftes Wortgerümpel.

Andere Stellen des Bändchens sind unschätzbar, weil sie die köstliche Zeit des Biedermeiers in Luxemburg heraufbeschwören, oder weil sie zwischen den Zeilen allerhand Persönliches vom Dichter verraten. Ich finde es rührend, wie er beim Abschiedgedicht an die jungen Mädchen tapfer sein Gebrechen verspottet: „Ech stong allzeit bei rech ob engem gudde Fo’ß.“

Ich kann diesen Hinweis nicht besser schließen, als indem ich ihm ein Volkslied anhänge, über das sich Dicks ganz sicher für seine Sammlung gefreut hätte, und das mir eine junge Frau aufgeschrieben hat, von der ich es auf einer Dorfhochzeit gehört halte:

„Es spinnet ein MädchenAuf seinem Spinnrädchen.Sie spinnet so hübsch und so feinDes Abends schlafen kann sie ja nicht allein.Sie freiet mit einem Doktore, ja!Sie freiet ein ganzes volles JahrBis an ihre schwarzbraune Haar.Sie tut sich ihren Vater wohl fragenOb sie nicht könnte heiratenUnd der Vater, der tut es zum verstehn,Als wenn dieses nicht könnte geschehn.Wenn dieses nicht könnte geschehen,Ei so will ich nicht länger mehr leben,Ei so will ich nicht länger mehr sein,Ei so stürz ich mich ins Wasser hinein.Da kam sich ein Schifflein geschwommenDrin saßen drei falsche Nonnen,Sie verabschneiden alle dreie her (?)Schönstes Schätzlein, wo bleibest du daher?Da reichten sich beide die HändeUnd ließen sich ins Meer hinabsenken,Ja sie schwimmen so hübsch und so feinBis daß beide ertrunken sein.

Der Verlag kündet einen dritten Band an, der „keine Lektüre für Kinder“ ist, aber in dem sich „dem Dicks seng witzeg Oder frei ausle’ßt“.

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  • lux cult. Heritage
KatalognummerBW-AK-012-2553