Original

15. Januar 1924

Das soeben erschienene dritte Heft der neugegründeten luxemburger Rundschau: Les Cahiera Luxembourgeois hält nicht nur, was die zwei ersten versprochen hatten, sondern markiert einen deutlichen Fortschritt. Diesen darf man zum Beispiel in dem Umstand erblicken, daß die beiden größeren wissenschaftlichen Beiträge, abgesehen von ihrem intrinsischen Wert, derart aufeinander abgestimmt sind, daß sie einander ergänzen und beleuchten. Die Schriftleitung hat nicht immer das Glück, in ihrer Mappe Arbeiten zu finden, die ihr erlauben, aus einer Nummer in gewisser Beziehung ein geschlossenes Ganze zu machen, aber wenn sie sie findet, so ist es zu begrüßen, daß sie den glücklichen Zufall ausnützt. Gemeint sind hier die Aufsätze von Dr. E. Stümper «Les localisiations cérébrales» und P. Sold »Scolastique ou moderne».

Während P. Sold gegen die Neoscholastiker Front macht, die der Wissenschaft den Rücken drehen und die Metaphysik anrufen, weil jene ihnen den Schleier vor den letzten Dingen noch nicht zu lüften vermochte, gibt Dr. E. Stümper das Beispiel eines Gläubigen der reinen, ernsten Wissenschaft, der mit eleganter sauberer Methodik und scharfer Sachlichkeit Schritt vor Schritt, die heilige Fackel der Wahrheit in der Hand, in die Gänge dringt, die vielleicht einmal ins Allerheiligste führen.

P. Sold weist an mehreren jüngst erschienenen Werken von Neoscholastikern schlagend nach, daß ihr Ruf in die Wüste führt. Sie verzweifeln an der Wissenschaft und werfen sich der Metaphysik an die Brust, trotzdem sie der Überzeugung sind, daß die Probleme, deren Lösung der Wissenschaft bis jetzt noch nicht gelang, überhaupt unlösbar sind. Sie gleichen den Defaitisten, die über die Luftschiffer die Achseln zuckten, weil Lilienthal sich bei einem Flug den Hals gebrochen hatte.

Dafür hat Dr. E. Stümper sich das Gebiet gewählt, das am dichtesten an das geheimnisvolle Gebiet der Materie aller seelischen Funktionen. Man darf nach der Fülle und Tiefe des ersten Aufsatzes sich auf die beiden folgenden freuen, die „Intellekt und Sprache“ und „Das biologische Ich“ behandeln werden.

Paul Palgen erzählt in seinen brasilianischen Films den Einzug des scheidenden Präsidenten Epitacio Pessoa in Rio de Janeiro. Die naive, ungezügelte, abergläubische Leidenschaftlichkeit des Volkes erscheint in der Schilderung Palgens wie auf einem pastos gemalten, farbenleuchtenden Bild. Micromegas bringt „Ungeschminktes“, woraus als Köder für den Leser nur dieser Ausspruch zitiert sei: „Ein Mann, ein Wort - eine Frau, noch ein Wort.“

Ich will aber nun ganz besonders auf das Idyll von Dr. R. Reuter hinweisen. Seine Art ist mit keiner andern vergleichbar, seine Prosa kommt aus einem Hirn, das anhaltend Blasen wirft, jede Blase ein Neues als Vergleich, Dynamik des Ausdrucks, Stimmungsgehalt. „Wasserringeln erstehen, weiten sich, verebben bebend: vom Schlittschuhstoß eines Käfers, Luftschnappen eines Fischleins, Mückentanz, der stille Spiegel stört.“

Glossen, Bücherschau, Rundschau der Rundschauen usw. sind die kleineren Rubriken, deren Orientierungswert um so kostbarer ist, als die wenigsten sich unmittelbar durch Anschaffung der repräsentativsten Bücher auf dem Laufenden halten können. Wie die C. L. bis ins Kleinste Gediegenheit pflegen, zeigt sich zum Beispiel an der kurzen, aber höchst interessanten Notiz über das Haus „Unter den Steilen“, von dem das Heft eine treffliche Strichzeichnung von A. v. Werveke enthält.

Von Batty Weber, der vor 18-20 Jahren leider zu früh gestorben ist, enthält das Heft einen Roman „Die Hände“, den er für die Cahiers Luxembourgeois zwanzig Jahre nach seinem. Tod geschrieben hat. Das ist bekanntlich sehr schwer. Die alkoholopädagogo-literarhistorischen Fachleute werden bei der Beurteilung des Romans die erhöhten Schwierigkeiten dieser postmortalen Produktionsweise in Rechnung zu stellen haben.

Es zeigt sich auch bei dieser Nummer der »Cahiers Luxembourgeois» wieder, welche Notwendigkeit sie für unser Geistesleben sind. Aktiv, indem sie Arbeiten an die Öffentlichkeit bringen, die sonst vielleicht nie gedruckt, vielleicht nie geschrieben worden wären, passiv, indem sie die Leser in enger Fühlung mit Gelstesströmungen halten, die für die Zeit wesentlich sind und sonst vielleicht unbemerkt an vielen vorbeigingen.

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KatalognummerBW-AK-012-2557