Original

26. Januar 1924

Auf einmal steht in meiner Erinnerung eine alte, heimelige Bauernstube. Ein Fenster geht auf den Vorplatz, wo Hühner auf dem Misthaufen glucksen, ein anderes auf den Baumgarten, den „Bongert“, auf dessen Rasen ein Füllen herumtollt. Durch die Kronen der Apfelbäume, die im Lauf der Jahrzehnte ihre Stämme in die Richtung des Südwestwindes gebogen haben, fällt gesprenkeltes Sonnenlicht auf den Rasen, in dem die gelben Sterne des Löwenzahns glühen.

Die Stube ist leer. Alle Hausgenossen sind draußen bei der Arbeit. Auf dem Tisch liegt, in eine hausgemachte Serviette aus gebildtem Linnen gewickelt, der Botlaib. Ein brauner Krug mit Äpfelwein steht daneben. Viez und Brot vereinigen ihre Düfte zu einem einzigen, der wie der Geist dieser schlichten, gastlichen Stätte ist. „Ich geb’s gerne!“ Und damit keiner lange zu suchen braucht, liegt das Brotmesser auf dem Laib. Wer von draußen kommt und Hunger und Durst verspürt, darf sich bedienen.

Das Bild erstand, als ich eben in der letzten Lieferung von Nik. van Wervecke’s Luxemburger Kulturgeschichte das Kapitel vom Brot las. Mit jedem neuen Druckbogen dieses Monumentalwerks wird man in höherem Maße inne, welches Geschenk der Forscher van Wervecke seinem Land damit macht, wie er in jeden Winkel unserer Vergangenheit liebevoll hineinleuchtet. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, Solche, die sich das Werk noch nicht gesichert haben, mit eine Stelle daraus über „Das liebe Brot“ zu locken:

„Die Brotlaibe waren gewöhnlich sehr groß; solche von zehn Pfund waren die gewöhnlicheren, doch gab es auch solche, für deren Herstellung ein ganzer Sester Korn erfordert war, die demnach bis an zwanzig Pfund schwer waren, groß wie ein Pflugrad, sagt das Sprichwort, oder, wie ein Weistum sagt: Wenn dem Fröhner beim Pflügen ein Rad breche, so solle er dieses durch ein Brot ersetzen und dann weiter pflügen, bis dieses abgenutzt sei.“

„Die kleineren Brote, wie sie namentlich den frohnenden Bauern bei oder nach der Arbeit geliefert wurden, hießen gewöhnlich Mutschen, zu Dalheim meuten, zu Lintgen mütten, seltener. Semmeln. Über ihre Größe bemerken die Weistümer von Berburg, sie müßten so groß sein, daß, wenn man den Daumen in die Mitte setze, man mit den Fingerspitzen den äußern Rand an allen Ecken erreiche; daher rührt auch wohl die heute noch vielfach beobachtete Sitte, in die Mitte der Obersläche der namentlich kleineren Brote mit einem Finger ein Loch einzudrücken; nach anderen Angaben müssen sie ein Pfund wiegen. Zu Dalheim nimmt man für ihre Herstellung Mischlerfrucht, zwei Drittel Roggen und ein Drittel Weizen.“

„Wie sehr das Brot als Hauptnahrung gilt, geht aus den vielfachen, religiösen, zum Teil abergläubischen Gebräuchen hervor, die mit demselben verknüpft sind. Ed. de la Fontaine, in seinen luxemburger Sitten und Bräuchen (p. 102) bemerkt dazu: „Schon „bei der Bereitung des Sauerteiges macht die Haus„frau denselben mit dem Zeichen des Kreuzes. In der „luxemburgischen Eifel erhält das erste Brod, welches „in den Ofen kommt, ein Kreuz eingedrückt und heißt „das Kreuzbred; dasselbe wird zuletzt gegessen.“ In der Viandener Gegend wurde lange auf jedes einzelne Brot aus etwas gerolltem Teig ein Kreuz aufgelegt oder mittels des Messers in den Teig ein Kreuz gemacht. „Niemals wird ein Brot angeschnitten, ohne daß man mittels des Messers, doch ohne zu schneiden, auf die flache Seite ein Kreuz macht. Allgemein gilt es bei unseren Landleuten als eine unverzeihliche Roheit, das Brot auf den Rücken, d. h. auf die gerundete, statt auf die flache Seite zu legen. Edelleuten, die sich vergangen hatten, wurde das Tischtuch zerschnitten und das Brot verkehrt gelegt.“ - „Das am Charfreitag gebackene Brot ist heilig; wer davon ißt, wird selig.“ (p. 37.) Wenn auf Mariä Himmelfahrt, Le’ffraweschdach, der Krautbüschel, wesch, gesegnet ist, werden die darin enthaltenen Fruchtähren ausgekörnt und diese Samen in den Kornhaufen gemischt, damit das tägliche Brot und die zukünftige Saat gesegnet sei (p. 64). „Am Hubertustage wird in der Kirche von Hassel Salz. Brot und Haser als Mittel gegen die Tollwut gesegnet; von dem Brot erhalten Menschen und Vieh ein Stückchen zum Essen, den Rest nimmt man auf Reisen mit. Dieses Brot besitzt die Eigenschaft, niemals schimmelig zu werden.“ (p. 78.) Noch im neunzehnten Jahrhundert, vielleicht auch heute, ließ man besondere Hubertusbrötchen in der Gestalt eines Hubertushörnchens backen und segnen; wer ein solches bei sich trug, war vor den Bissen der tollen Hunde und vor der Tollwut sicher. „Bei unsern Bauern bestand (p. 96) der uralte Brauch, den in ein Tuch eingewickelten Brotlaib stets auf dem Stubentisch liegen zu lassen und alle auf Besuch eintretenden Fremden zu bitten, das Hausbrot zu versuchen.“

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  • cultural memory: van Wervecke
KatalognummerBW-AK-012-2567