Pierre Auguste Renoir, der große Impressionist, der den Kunsthistorikern so viel zu schaffen macht und in die Geschichte hineinwächst, wie ein Abendschatten, der immer größer wird, hat vor zirka zwanzig Jahren Schmerzliches in unserm Ländchen erlebt. Ein Bekannter, der Augen- und Ohrenzeuge war, erzählte es mir gestern.
Um das Jahr der letzten Pariser Weltausstellung von 1900 herum hatte Renoir, damals angehender Fünfziger, vom „Graphic“ den Auftrag erhalten, nach Echternach zu fahren und die Springprozession zu zeichnen.
Der Künstler war im Hotel Strauß abgestiegen und täglicher Tischgenosse einer Anzahl von Junggesellen, unter denen die Herren Professoren des Gymnasiums die Mehrzahl bildeten.
Er ließ sich die Merkwürdigkeiten Echternachs durch Papa Thiel-Pinnel vorführen und erklären, der es ihm besonders durch seinen Gesichtserker angetan hatte. «Une orgie de couleurs», nannte ihn Renoir, und dieser Fanatiker des Sonnenlichts hätte zweifellos unter andern Umständen aus dem Antlitz seines Führers ein Bild geschaffen, das es an Berühmtheit mit dem «Moulin de la Galette» aufgenommen hätte.
Unglücklicherweise wurde dem Maler sein Echternacher Aufenthalt durch das Schicksal verleidet, das diesmal in Gestalt eines Eifeler Dienstmädchens auftrat.
Renoir hatte von der Springprozession einen Haufen Stizzen angefertigt, die er für den „Graphic“ ausarbeiten wollte und für die ihm die berühmte Zeitschrift zweifellos eine Stange Goldes bezahlt hätte. Außerdem wäre Echternach mit seiner Springprozession im Schlepptau dieses Bahnbrechers an bevorzugter Stelle in die Kunstgeschichte gekommen.
Der Maler hatte seine Skizzen, die auf losen Blättern hingestrichelt waren, in seinem Zimmer auf dem Tisch liegen. Kam das Zimmermädchen - sie war wie gesagt aus der Eifel und hatte nie Kunstgeschichte studiert -, sah die Blätter liegen, sah darauf das wundersame Gekritzel und Geschnörkel, auf das sie sich keinen Vers zu machen wußte, und schaffte sie fort, ins Watereloset, in den Küchenherd, Gott weiß wohin. Sie war eine Person, die auf Ordnung hielt und keine „Urzen“ machte. Es ist eine Tugend, daß jemand in der Landschaft kein herumliegendes Stullenpapier verträgt. Hat aber zufällig ein Künstler, wie Renoir, dieses Papier mit Skizzen bedeckt, so kann die Tugend zum Verbrechen werden.
Das Dienstmädchen hatte Glück. Sie wurde nicht erdrosselt. Renoir fluchte, selbstverständlich. Ich weiß nicht, ob die Funny schon damals in ihrem gastlichen Haus Hof hielt, sonst nähme ich mit Sicherheit an, daß Renoir seinen Ärger abends in rosa Mindenerlayer ersäufte. Mit Sicherheit ist nur überliefert, daß er sich schließlich faßte und mit den Leuten aus dem Hotel als Modellen die Prozession zu rekonstituieren suchte. Wer die Nummern des „Graphic“ aus jener Zeit besäße, würde darin vielleicht den einen oder andern bekannten Kopf entdecken.
Wenn das Hotel Strauß einmal eine Galerie seiner berühmten Gäste herstellen läßt, muß Pierre Auguste Renoir einen Ehrenplatz darin erhalten.
Das Dienstmädchen aus der Eifel aber ist sicher längst daheim verheiratet und womöglich schon Großmutter. Es wäre der Welt schuldig, daß es ihr unter seinen Kindeslindern einen großen Maler schenkte.