Wenn Du, lieber Leser, in diesen Tagen der winterlichen Sonnenglitzerpracht von Süden, Westen oder annähernd aus dieser gottgesegneten Richtung Dich der Stadt näherst, wird auf einmal Dein Blick durch ein sozusagen frohlockendes Glänzen angezogen. Es ist die schwebende Gestalt der goldnen Frau auf dem Denkmal der Legionäre. Aber die goldne Frau glänzt nicht allein, hoch über ihr und ihr voran glänzt ein - soll ich sagen, ein goldner Mann? Es ist der Gockel auf dem Kirchturm der Kathedrale. Die beiden funkeln um die Wette und es ist, als ob sie das Sonnenlicht als Wind in den Segeln hätten Ich blieb stehen und freute mich an der glänzenden Doppelerscheinung vor dem blaßblauen Januarhimmel. Es dauerte nicht lang, so kam Beziehung und Bewegung in das Bild. Der Gockel hatte den Schnabel nach Nordost gerichtet, und es sah auf einmal aus, als flögen beide, der goldne Gockel und die goldne Frau, sehnsüchtig jenem Schnabel nach, genau in der Richtung Berlin.
Da konnte ich nicht an mich halten.
„Unselige!“ rief ich. „Soll das bißchen Gold, das wir noch im Lande haben, nun auch den Weg alles andern gehen!“
Grade kamen mehrere Herren in neuen Mänteln und Hüten, mit neuen Lederköfferchen und neuen Spazierstöcken in der Hand, vom Hotel Cravat her, wo sie zu Mittag gefrühstückt hatten. Sie tauschten in dithyrambischen Lobsprüchen ihre Eindrücke über das Genossene aus.
„Dies Luxemburg wäre ein Schlaraffenland, wenn man nicht auf Schritt und Tritt risklerte, in einen Graben zu purzeln,“ machte einer von den Herren einen schüchternen Vorbehalt.
Grade ging ein alter Herr mit einem abgeschabten Überzieher und einem an der Krämpe stark abgegriffenen Hut vorbei.
„Verzeihung, können Sie uns sagen, warum hier überall diese Mordsgräben aufgeworfen werden.“
„Das soll einmal eine Schwemmkanalisation werden.“
„Ach so! Schwemmkanalisation! Mit der ollen Kiste sind wir bei uns zuhause längft über alle Berge. Die haben wir schon vor reichlich fünfzehn Jahren gebaut.“
„Wo sind Sie zuhaus, wenn ich fragen darf?“
Der Fremde nannte eine rheinische Großstadt.
Um die Mundwinkel des alten Herrn zuckte es schmerzlich.
„Ich habe Ihre Schwemmkanalisation bauen helfen,“ sagte er.
„So so! Tiefbauingenieur gewesen?“
„Nein, ich habe für 50 000 Mark Ihrer letzten Stadtanleihe liegen. Ich habe dafür 2500 blanke goldne Doppelkronen eingezahlt, und heute könnte ich mir dafür keinen Zahnstocher kaufen, wenn ich außerdem die Mittel hätte, mir Fleisch zu kaufen, und also in den Fall käme, mir die Überreste eines Koteletts aus den Zähnen stochern zu müssen.“
„Hast du gehört!“ rief die goldne Frau dem Gockel von Liebfrauen zu. Und ich glaubte wirklich zu bemerken, daß der Gockel stutzte und den Schnabel aus der Richtung drehte.
Die Fremden hatten sich von dem alten Herrn losgelöst, ohne weiter auf seine Rede einzugehen.
„Was einen besonders sympathisch berührt,“ sagte der eine wieder, „das ist, daß man hier nichts von der Einrichtung zu kennen scheint, die wir bei uns zuhause Auslandtaxe nannten und die uns erlaubte, die Preisgrenze nach oben bis in die Puppen hinaufzurücken. Wir zwackten die Fremden, daß ihnen die Augen übergingen. Es ist wirklich nett von den Luxemburgern, daß sie uns das nicht vergelten.“
Der Dicke mit dem roten, gedunsenen Gesicht und der Zahnbürste unter der Nase sagte: „Uhupp! Zu den famofesten Lokalerscheinungen rechne ich - uhupp! - die Sitte, den Schnaps - uhupp! - in den schwarzen Kaffee zu - uhupp! - zu schütten. Mein Kirschwasser - uhupp! - übrigens großartig, unterhält - uhupp! uhupp! - unterhält sich mit mir, daß es - uhupp! - ein Genuß ist.“
Ich konnte tags darauf feststellen, daß die goldne Frau und der goldne Gockel sich eines Besseren besonnen haben und noch immer hier sind.