Wir bewegen uns mit der Sache, die gleich zur Sprache kommen soll, nicht in höheren Regionen der Kultur, aber es verlohnt sich, darüber zu reden, nachdem dieser Tage die Besten des Volkes in der Kammer davon geredet haben.
Die Polizeistunde, die den Betrieb in den öffentlichen Lokalen abends oder nachts abgrenzt, wird ebenso heftig und verdientermaßen in Schutz genommen, wie bekämpft. Es kommt darauf an, welchen Standpunkt man einnimmt, den Standpunkt derer von draußen oder derer von drinnen.
Die von draußen, das sind die Nachbarn, für die der eventuelle Lärm im Lokal eine Belästigung sein kann und die gegen diese Störung den Schutz der Polizei anrufen. Mit vollem Recht. Dazu ist die Polizei tatsächlich da. Und zwar nicht erst von halb ein Uhr nachts ab, sondern zu jeder Stunde in der Nacht. Das Recht auf Schlaf, auf ungestörte Nachtruhe, ist nicht minder wichtig, als das so laut geforderte Recht auf Arbeit. Denn was fange ich mit dem Recht auf Arbeit an, wenn ich aus Mangel an Nachtruhe die Fähigkeit zur Arbeit einbüße? Wenn also in einem Wirthaus nicht um Mitternacht, sondern schon um 10 Uhr ein solcher Lärm vollführt wird, daß die Nachbarn nicht schlafen können, so wäre das im Prinzip kein weniger triftiger Grund zum polizeilichen Einschreiten, wie der Radau zwei Stunden später.
Die drinnen denken anders. Sie gehen ins Wirtshaus nicht um zu schlafen, sondern um sich zu unterhalten, auch mitunter, um ihren Durst zu löschen. Aber selbst wenn dieser gelöscht ist, trinken sie weiter, um Anspruch darauf zu haben, sich unter dem Dach des Wirtes, im Licht seiner Lampen und am Feuer seines Ofens in geselliger Unterhaltung oder bei einer Partie Stippy die Zeit zu vertreiben.
Dagegen hätten Sie und ich nichts einzuwenden. Aber der Vater Staat fühlt sich auf einmal in seiner Erzieherrolle und sagt: Ich will Euch vor Schaden an Eurer Tugend, Eurer Gesundheit, Euerm Portemonnaie bewahren. Ihr sollt nicht zu Nachtschwärmern werden, Ihr sollt Euch nicht den Magen verderben, Ihr sollt nicht im Baccarat Geld verlieren, das Ihr anderweitig viel besser brauchen könnt.
Ist der Staat wirklich dazu da, daß er großjährigen Bürgern gegenüber in dieser Weise den Präzeptor spielt? Wäre nicht auch bei uns die Freiheit, wie sie anderswo in normalen Zeiten herrscht, das beste Regulativ? Sollte sich die Polizei nicht darauf beschränken bei tatsächlichen Ausschreitungen einzugreifen? Es bräuchte nicht einmal immer die Polizei zu sein, manchmal würde die Feuerwehr größere Dienste leisten. Gesetzt den Fall, in einem Lokal käme es spät in der Nacht zu Lärmszenen, Prügelei und dergleichen: Der Wirt telephoniert an die Feuerwehr, eine Abteilung rückt mit einer Handspritze on, richtet durch Tür oder Fenster einen Strahl auf die Aufgeregten - wetten, daß in zehn Sekunden der Aufruhr sich gelegt hätte.
Solange aber die Gäste sich ruhig verhalten und niemand belästigen, soll man sie sitzen lassen. Wenn sie bei der Heimkehr von der teuern Gattin eine Gardinenpredigt gewärtigen oder wenn sie am nächsten Morgen mit Höhenrauch zur Arbeit gehen - habeant sibi! Ein nächstes Mal gehen sie dann eben früher nachhaus. Um so früher, als sie wissen, wenn sie länger sitzen bleiben, werden sie nicht durch die Polizei hinausgeschafft. Wer zum Verbummeln geboren ist, wird schwerlich durch die Einrichtung der Polizeistunde gerettet.
Weiß der Wirt, daß ihm die Polizei nicht allnächtlich die Bude räumt, so wird er selber dafür sorgen. Die paar Leute, die nach Mitternacht eine spitze Ecke bilden und die Welträtsel lösen, geben ihm nicht soviel zu verdienen, daß er davon Heizung und Veleuchtung für eine halbe Stunde bezahlen könnte.
Hat er es aber darauf abgesehen, sich für die Nachtwache bezahlt zu machen, so sorgt er schon für ein Hinterstübchen, in dem er ihnen ein paar Flaschen Schampus zu Großstadtpreisen andreht, ohne daß die Polizei die Sitzung aufheben kann.
Vor sechzig, siebzig Jahren wurde in unserm Land noch an vielen Orten die Lumpenglocke geläutet. Mit fortschreitender Zivilisation geriet der Brauch in Wegfall. Das Feierabendbieten der Polizei ist heute unsere Lumpenglocke. Man sollte wenigstens einmal den Versuch machen, sie abzuschaffen.