Lieber Leser und selbstverständlich auch klebe Leserin! Solltest Du morgen, Samstag, 16. Februar, zufällig Dich in Straßburg der Wunderschönen befinden und vor Langerweile nicht wissen, was unfangen, und solltest Du mit Heimweh geplagt sein, des Elsässer Dütsch und noch mehr des Elsässer Französisch müde Dich nach den Lauten der Heimat sehnen, so begib Dich um halb neun Uhr abends nach dem Palais des Fêtes am Boulevard Clémencenu (Steinring), suche den Saal der Marseillaise auf und frage nach Herrn J. P. Hemmer, dem sympathischen Präsidenten der Straßburger Union Luxembourgeoise, die an dem Abend ein Konzert mit Tombola und Ball gibt. Trotzdem zu dem Fest eine Einladung vonnöten ist, wird man Dir als Landsmann oder Landsmännin den Einlaß nicht verweigern, und Du wirst so in der Fremde einen gemütlichen luxemburger Abend verbringen, mit Dicks und Menager und Mertens und zum Schluß der „Hemecht“ verschlungen mit der „Marseillaise“. Und ich wünschte, ich wäre bei Dir, wäre es auch nur um das liebliche Quartett von Menager „Am Gäertchen“ von den HH. Reuter, Halsdorf, Heyart und Rollmann zu hören. Ein Männerquartett mit vier ausgewählten Stimmen ist nämlich ebenso schön, wie ein Männergesangverein mit einem Sammelsurium von Holzeimerorganen gräßlich sein kann.
Also den Straßburgern Landsleuten sei mit ihrem Konzert, ihrem Ball und ihrer Tombola ein Triumph gewünscht.
Uns hier bereitet es Genugtuung, zu sehen, wie sich draußen die Klebefähigkeit der Luxemburger, ihr Bedürfnis, sich national zu betonen und durchzusetzen, schon wieder einmal bewährt hat. Und dazu in Straßburg, der Stadt, die für uns einen ganz besondern und komplexen Zauber hat.
Straßburg war unsern Intellektuellen immer ein Wunder von Stadt, eine Sonnenwolke, die über alte nationalen Erdgebundenheiten strahlte, französisch durch ihr Herz, universell durch die Goethe-Erinnerungen, voller Poesie durch das Volkslied und durch den Rhein und durch den Dom - eine Stadt voll märchenhafter Entrücktheiten. Dann wurde sie das Mekka unserer Eisenbahner und zum Teil auch unserer Studenten. Sie stand im Zeichen des geflügelten Rades, dort saß der Oberste Rat unserer Bahnen, freilich gehörten ihm nur wenige Luxemburger an, und wenn hier ein guter Posten zu besetzen war, kam ein fremder Mann aus Straßburg und setzte sich drauf. Aber die Eisenbahner im allgemeinen waren zufrieden, so weit Menschen überhaupt zufrieden sein können, weil sie durch die Bank anständig bezahlt wurden und weil die Rangordnung auf gesunder Grundlage beruhte. Heute scheint Straßburg für die Männer vom geflügelten Rad viel von seinem Zauber eingebüßt zu haben und mit Spannung blicken sie dem Tag entgegen, wo das Verhältnis sich verschieben soll.
Auch unheimlich in gewissem Betracht klang uns oft der Name Straßburg, wenn die Rede davon ging, daß hier einer mit dem Tode rang und eine Leuchte der Straßburger Alma Mater an sein Lager gerufen wurde. „Der Professor von Straßburg“ war lange das Stärkste, was man dem Sensenmann entgegenzustellen hatte.
Mit der Gründung der Union Luxembourgeoise durch unsere Eisenbahner in Straßburg haben wir in der wunderschönen Stadt vorläufig eine Art Heimatrecht. Es scheint nicht lange dauern zu sollen, da die Verhandlungen wegen anderweitiger Regelung unserer Eisenbahnfrage anscheinend in das Endstadium getreten sind. Aber den Frühling in Straßburg werden die Luxemburger von dort wohl noch erleben, und darum sind sie zu beneiden.