Original

28. Februar 1924

Ich möchte heute nicht der Kaiser - irgendein Kaiser sein, auch nicht der Papst, nicht der Stinnes, nicht der Ford oder sonst einer von den Großen und Reichen der Erde, Aber ich möchte wohl einer von den Züricher Polytechnikern sein, die in diesen Tagen mit ihren Professoren auf Studienreisen sind und dabei auch unsern Industriebezirk berühren.

Wieso einer, der auf Ingenieur studiert und die Wahl frei hat, alsdann nicht nach Zürich geht, habe ich nie begriffen. Wer einmal in Zürich war, sehnt sich dorthin zurück, bis er stirbt. Und nun bedenke: In der Jugendzeit, in den Tagen der Rosen, dorthin, zwischen den glaskaren See und die wolkenschönen Berge gestellt sein, um das Leben zu erobern, können einem die Götter größeres Glück bescheren?

Kürzlich zeigte mir ein junger Luxemburger, der grade in Zürich seinen Ingenieur gebaut hatte, voller Stolz seine Prüfungsarbeiten, Zeichnungen, Berechnungen usw. Und dann schwärmte er mir von Zürich vor und erzählte von einer Studienreise, die er mitgemacht harte und wußte sich nicht zu lassen vor Begeisterung.

„Sei still,“ sagte ich, „ich weiß noch, wie ich einmal am See in Zürich stand, wie die Sonne darauf glänzte, wie es sich in farbigen Pünktchen um die Badehäuser tummelte, wie der Uetliberg leuchtete, und wie ... ach du lieber Himmel, wie ist es nur möglich, daß in Zürich nicht lauter Dichter und Musikanten wachsen, daß bei all der Herrlichkeit, die Erde und Himmel dort ausgießen, es Leute gibt, die prosaisch genug sind, Fabriken zu bauen und Baumwolle zu produzieren!

Doch es ist gut, daß der Gottfried Semper ihnen vor vielen Jahren dort ein Polytechnikum gebaut hat, in dem junge Leute studieren können, deren Vaterländer weniger schön und weniger klug sind, als die Schweiz.

Es ist gut, daß sie aus allen Richtungen dort zusammenkommen und ein wenig von dem Geist der freien Schweiz atmen, die frei ist, weil sie immer frei sein wollte und die darum am besten versteht, daß auch andere frei sein wollen; die niemals ihr Ideal und ihre Größe darin erblickte, auf Kosten anderer groß sein zu wollen; das Land, in dem die Politik noch am nächsten bei dem ist, was sie ursprünglich bedeuten sollte, die Sorge um das Gemeinwohl!

Ingenieur hängt mit Ingenium zusammen. Und nirgends wird Menschen-Ingenium von der Natur so ingrimmig herausgesordert, wie in der Schweiz, wo die stärksten Kräfte entfesselt und die kolossalsten Hemmungen zu überwinden sind. Darum liegt das Züricher Polytechnikum sozusagen à pied d’œuvre, wie ein Hochofen auf den Erzbergen: Weiße Kohle, Maschinen, Bahnen mit Hindernissen, Tunnelbauten, Brücken usw. usw., der junge Polytechniker lebt mitten in der Praxis drin, sein Sinn für den Beruf, sein Verständnis, sein Talent wächst an der Wirklichkeit empor.

Und hat er eine saure Woche hinter sich, winken ihm auf dem See und in den Bergen frohe Feste. Der Sport in seinen lockendsten Gestalten liegt ihm überall zur Hand. Und das Tor in die geheimnisvolle Weite des Lebens ist nirgends so weit offen, wie dort.

So ziehen sie nun durch die Lande und kommen auch zu uns, die fahrenden Schüler von heute. Und in jeder Maschinenhalle, darin die Schwungräder kreisend wuchten und die Kolben majestätisch ab und zu gleiten, dürfen sie sagen: Ich werde dereinst Eure Seele sein - vor jedem stolzen Haus können sie hoffen: Ich werde einst in dir wohnen - und jedem noch so stolzen Mädel dürfen sie unter die Lider schauen u. denken: Dich werde ich einst erobern, wenn ich nur will! Denn die Welt steht ihnen offen, wenn sie dazu die Kraft und die Grütze und den Willen haben.

Und wenn sie es nur wüßten!

TAGS
    Katalognummer BW-AK-012-2595