Es gibt zwei Fastnachten - oder Fastnächte, wie Sie wollen.
Eine künstliche und eine wirkliche.
Die künstliche Fastnacht ist die Fastnacht der Caféwirte und der Geschäftshäuser, die die „einschlägigen“ Artikel führen. (Hätte ich übrigens den Ladenschwengel, der das Wort einschlägig erfunden hat, unter den Fingern, ich möchte ihn zweischlägig, dreischlägig, dutzendschlägig vermöbeln!)
Diese Fastnacht läßt sich reglementieren. Man kann sie mit Maskentaxen und Polizeistunden eindämmen. Sie ist eine Einrichtung, die mit der Fastnacht so wenig zu tun hat, wie meinetwegen eine Kohlensäurefabrik mit frischer Luft und Quellwasser. Sie richtet sich streng nach Kalender und Datum. Sie fängt am Sonntag vor Aschermittwoch an und endet am Aschermittwochmorgen, um Sonntags darauf und an Mittfasten noch einmal aufzuleben und dann bis übers Jahr sich einzukapseln.
Die natürliche Fastnacht ist unabhängig vom Kalender, von der Maskentaxe und von der Polizeistunde. Sie ist nicht das Bewußtsein, daß man jetzt rasch vor der Fastenzeit sich noch einmal austoben muß. Sie ist das erste Frühkingsahnen. Sie ist das zarte Spargelköpfchen, das die braune Erdkruste sprengt und vom ersten Frühstrahl geküßt sein will. Es ist noch nicht das Sonnenkonzert des Jahres, aber sie stimmen schon die Instrumente. Bereitet Euch. Reckt die Glieder aus nach dem Winterschlaf, ob sie noch der Freiheit gewachsen sind. Noch sind wir nicht nach Buße und Kasteiung, nach Häring und Stockfisch riechen soll, aber schon leuchtet vom andern Ende her sonnenbeschienene Landschaft herein.
Es macht nichts, wenn hoher Schnee auf diese Fastnachtsstimmung fällt, wie in diesem Jahr. Die Stimmung schneit nicht ein. Probiert einmal, Euch in dem Weihnachtswetter des heurigen Fastnachtssonntags, am 2. März bei Frost und Schneegestöber, untern Weihnachtsbaum zu setzen und „Stille Nacht, Heilige Nacht!“ zu singen: Es ginge nicht, Ihr fändet Euch trostlos zurückversetzt. Versucht es umgekehrt: Ich glaube, mit einigem guten Willen brächte es jeder fertig, in der Christnacht sich in Karnevalsstimmung zu versetzen und einen Vorschuß auf sein Guthaben an Frühlingsgefühlen zu nehmen. Denn seht Ihr, da liegt’s: Die Fastnacht ist das Vorwärtsfest par excellence. Sie strotzt von Drang nach vorwärts. Sie kann es nicht erwarten, bis die Sonne im Zenit steht, sie stellt die Sehnsucht über die Erfüllung, denn die Sehnsucht ist Bewegung und die Erfüllung ist Ruhe.
Darum kann diese Fasinacht nicht reglementiert werden. Sie schöpft ihren Zauber aus Tiefen, bis in die die Angst um den Franc nicht zu dringen vermag. Und sie braucht weder Maske noch Domino, sie gibt uns, einmal wenigstens im Jahre, den Mut, auch ohne „Geschiichtemes“ die Wahrheit zu sagen. Und wäre es auch nur uns selbst.