Original

21. März 1924

Die sehr pariserische Wochenschrift «Aux Ecoutes» enthält in ihrer Nummer vom 16. März einen Kassandraruf gegen die Deutschen in Luxemburg: «Les boches au Luxembourg.»

Wir sind uns der Gefahr bewußt, die eine starke Ansiedlung deutscher Elemente für unsern nationalen Bestand bedeuten kann. Wenn wir nach Deutschland gehen und uns gelegentlich dort ankaufen, so ist das eine harmlose Sache. Schickt uns aber Deutschland von seiner Bevölkerungs-Überproduktion herüber, so liegt der Fall ganz anders. Und abgesehen von der Absorptionsgesahr gibt es jene andere, die wir in den Tagen um den 2. August 1914 verwirklicht sahen: Deutsche, die seit Jahren hier heimisch waren, traten plötzlich in Feldgrau als Führer der eingefallenen Truppen in die Erscheinung. Sie werden zugeben, daß das schon rein menschlich für uns kein sympathisches Schauspiel war.

Wollte jemand in der französischen Presse wirkungsvoll auf die deutsche Gefahr in Luxemburg hinweisen, so müßte er schon gründlicher und umfassender vorgehen. Mit dem Herausgreifen einiger Geschäftsfirmen und der Erwähnung von «Boches», die nichts anderes sind, als von Franzosen abstammende Luxemburger, ist nicht viel Eindruck zu machen. Die Deutschen, die hier Geschäfte machen, hängen wahrscheinlich mit andern zusammen, die dasselbe in Frankreich tun, und wer weiß? Was die Politik nicht fertig bringt, die dauernde Versöhnung der Völker, bringt am Ende das Geschäft zustand?

Eigentlich wollte ich die Pariser Kollegen von «Aux Ecoutes» auf eine andere Seite des Phänomens Boche hinweisen, die uns vielleicht noch stärker interessiert.

Wer die Luxemburger kennt, weiß, daß sie sozusagen ohne Ausnahme Frankreich lieben. Das ist nun einmal so. Eine Naturerscheinung gewissermaßen, über deren Sinn und Berechtigung niemand räsoniert. Diese Liebe ist bei vielen eine Liebe schlechthin, ein Gefühl, das eben da ist, das sich sozusagen passiv auswirkt. Bei andern aber ist es die werktätige Liebe, die zum Größten fähig und bereit ist. Wir haben gesehen, daß manche unter uns in gefährlicher Dienstleistung für Frankreich ihr Leben aufs Spiel setzten. Andere sehen ihren Lebenszweck darin, unsere ganze Intellektualität in die Geleise französischen Geisteslebens zu leiten. Zu diesen gehört beispielsweile. Mathias Esch. Seine Propaganda für französische Literatur füllt sein Dasein aus, beruflich und außerberuflich. Sein Talent hält seiner Begeisterung die Wage. Erst vor ein paar Tagen schloß er in der «Arbed» eine Reihe von Vorträgen ab, die zu den Erlesensten gehörten, was hier geboten wurde. Er ist seelisch und geistig in seinem Adoptiv-Vaterland Frankreich zuhaus, und es ist nicht seine Schuld, daß Paris nicht unsere wirkliche Hauptstadt geworden ist.

Wirkt es darum nicht wie ein fauler Witz, wenn Mathias Esch von einem Franzosen Boche geschimpft wird? Den Mut dieses faulen Witzes hatte ein Herr Carlos d’Eschevannes. Dieser schreibt Kunst- und Literaturberichte in einer Pariser Zeitung, die in weitesten Kreisen unbekannt ist. Sie heißt «La Gazette Franco-Britannique». Mathias Esch hatte am 29. Oktober 1923 in der „Luxemburger Zeitung“ von einem Buch dieses Herrn geschrieben, «que son livre n’est que d’une valeur et d’un intérét primaires. Cette nuit de fiançailles nous ramène aux plus tristes inventions du naturalisme.» Das mißfiel Herrn Carlos d’Eschevannes, und bereits am 4. März 1924 erklärt er, Herr Mathias Esch sei ein «primaire de province» und ein «Boche», und der Zeitung gab er den Rat, «de se taire plutôt que de parler de livres français qu’il n’est pas capable de comprendre et d’étaler ainsi sa sotte naïveté.»

Dies hätte schon genügt, um den Schriftsteller zu charakterisieren, der sich so stolz in die Bettlerkumpen abgetragener Schimpfwörter drapiert. Aber er setzt an anderer Stelle seinem Bild noch ein deutliches Licht auf. indem er im Lauf einer Kunstkritik von der Abteilung der luxemburger Maler bei den «Indépendants» spricht und dabei feststellt, daß Luxemburg «un petit pays d’opéra-comique» ist, und daß ein Gemälde des Luxemburgers Stenberg (?) von seine einer «tapisserie» ähnlich sieht.

Nur der abgebrannteste Penny-a-liner macht noch von diesem Cliché Gebrauch, das so alt ist, wie die Offenbach'schen Operetten, aber lange nicht so Diese Herren, die von Luxemburg als einem Operettenland reden, sollten sich klar machen, daß die eigentlichen Operettenfiguren sie selber sind, und daß hier unser öffentliches Leben lange nicht so viel des Operettenhasten bietet, wie die Provinz großer Länder, die durch den zentripetalen Drang nach der Hauptstadt abgerahmt ist, während wir unsere besten Kräfte alle für unsere kleine, aber reine Heimat tätig sehen.

Vielleicht sagt die Redaktion von «Aux Ecoutes» einmal dieser Sorte von grotesken Boche-Schnüfflern à la Carles d’Eschevannes, daß sie ruhig weiter ihre Albernheiten verzapfen dürsen, man stört sich hier nicht dran und behält für Frankreich darum nicht weniger Sympathie, weil der eine oder andere seiner Söhne gelegentlich solche Kindlichkeiten von sich gibt.

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  • dangers of associating with Germany love for France
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KatalognummerBW-AK-012-2612