Original

27. März 1924

„Nein, wirklich, es ist nicht nett von Ihnen, daß Sie so gar keinen Sinn für Feierlichkeit haben.“

„Was wollen Sie, verehrte Freundin, Feierlichkeit liegt mir nicht. Sie ist nur schön, wenn sie wahr ist, und sie ist so selten wahr, daß sie sozusagen nie schön ist. Nehmen Sie zum Beispiel Schäfers Sonntagslied: „Ich bin allein auf weiter Flur“ usw. Mit der Musik von Abt. Das ist so seierlich, daß mir in meiner Jugend die Augen voll Wasser standen, wenn ich es hörte. Und was steckt dahinter? Ein wenig Hochdruckwetter am ersten Tag der Woche, Schafe mit Dreckknollen im Pelz, ein hungriger Schäfer, der nach seiner Beschäftigung riecht und in seinem Leben wahrscheinlich nie ein Vollbad genommen hat, in der Ferne ein Stück Kupferbronze von besonderer Form, das an einem schmierigen Strick durch einen alten Küster in Schwingung versetzt wird.“

„Hörey Sie auf! Sie ziehen das Heiligste in den Staub! Wo liegt in Ihrem Leben das Geheimnis dieses grausamen Zynismus?“

„Ich weiß nicht, was Sie meinen .... doch, vielleicht .... vielleicht war es das ....?“

„So reden Sie!“

„Ich war damals blutjunger Student in Berlin. Erstes Semester. Die Großstadt drang mit allem Neuen und Fremden, mit ungeheurer Überwältigungskraft auf mich ein. Und ich reagierte auf alles mit einer ungestillten Absorbierungsgier. Ich hatte das Empfinden, als müßte ich das alles verarbeiten, mir zu eigen machen. Wie ein hungriger Landstreicher am Schaufenster eines Delikatessengeschäfts in Gedanken alle dort ausgelegten Leckerbissen auf einmal verschlingt. Alles brachte ich in innige Beziehung zu mir, alles wollte ich mitsein und mithaben, es war ein maßloser Besitzergreiferinstinkt, ein Lebensdurst, der gegen ein Meer sich zu stemmen vermaß.

Damals hatte ich ihn noch, den kindlichen Sinn für Feierlichkeit. Einige Kommilitonen, Wingokfiten, so viel ich mich erinnere, kamen im Gehrock ins Kolleg. Der Gehrock war mir der Inbegriff von Feierlichkeit für den Mann. Und in einzelnen Kollegien herrschte eine unbeschreiblich feierliche Stimmung. Bei dem Griechen Kirchhoff, bei dem Philosophen Zeller .... da wäre ich gar zu gern auch im Gehrock in die Erscheinung getreten, um restkos auch äußerlich im Milieu aufzugehen. Aber ich hatte keinen Gehrock. Da ging ich eines Tages in der Leipziger Straße an einem Konsektionsgeschäft vorüber, das Herrenanzüge ausstellte, darunter einen prachtvollen Gehrock. Mein Freund Berthold Michael, ein gerissener Berliner, sagte, es sei feinstes Kammgarn, der Schnitt tip top, und nur 29 Mark 95 Pfennige, aber dafür geben sie ihn nicht, es sei Gimpelfang, wenn man darnach frage, so kriege man aus dem Laden einen ähnlichen, aber minderwertigen Gehrock!

Das wollen wir gleich sehen, sagte ich empört. Ich hatte grade noch 35 Mark für die letzten Tage des Monats in der Tasche. Also ich hinein in den Laden: Ich möchte diesen Gehrock dort zu 29.95 Mark.

Sofort mein Herr! Und der junge Mann beflissen auf ein Gestell zu, an dem schwarze Gehröcke zu Dutzenden hingen.

Geben Sie sich weiter keine Mühe, sagte ich, speziell den dort im Schaufenster will ich haben, keinen andern.

Er lächelte nachsichtig und sagte, der sei mir ja viel zu groß.

Das ist ganz egal. Sie wissen ja nicht, ob er für mich oder für einen Onkel von mir ist.

Er suchte allerhand Ausflüchte, ich drohte mit dem Schutzmann, und schließlich schmiß er mir verächtlich den Gehrock auf den Ladentisch und ich schmiß ihm ebenso verächtlich meine 29 Mark 95 Pfennige hin.

Was soll ich Ihnen weiter sagen, verehrte Freundin. Ich hatte meinen Gehrock. Er war mir tatsächlich ein ganzes Stück zu groß. Aber ich hatte kein Geld, um ihn abändern zu lassen. So trug ich ihn, wie er war, nur mit eingeschlagenen Ärmeln. Ich kam mir unsäglich feierlich darin vor. Meine besten Freunde zogen ehrerbietig den Hut, wenn sie mir begegneten. Ich trug den Gehrock im Kolleg, bei Ruderpartien auf dem Neuensee, bei Märzbockgelagen auf dem Kreuzberg, sie nannten mich den Herrn Konststorialrat. Ich schwamm in Feierlichkeit. Bis sie mir zum Hals heraus kam. Da versetzte ich meinen Gehrock in der Charlottenstraße für 75 Reichspfennige.

Ich habe ihn nie wieder eingelöst. Seither, glaube ich, habe ich den Sinn für Feierlichkeit verloren.“

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KatalognummerBW-AK-012-2617