Original

3. April 1924

Mit Freuden, ja mit einem Aufatmen der Erleichterung ist die Gründung der Luxemburger Gesellschaft für Sprach- und Dialektforschung zu begrüßen.

Für uns viel mehr noch, als für andere, ist die Heimatsprache der geistige Boden, auf dem wir als Volksganzes angesiedelt sind und Wohnrecht haben, aus dem wir einen Teil unserer Charaktereigenschaften ziehen und den wir umgekehrt mit unserm Wesen durchdringen.

Unsere Sprache ist der lauteste Zeuge für unsere Eigenart und unser Daseinsrecht. Wir müssen an ihr leidenschaftlich, inbrünstig, eifersüchtig festhalten, sonst hängen wir eines Tages in der Luft, werden zu Bastarden und Schmarotzern. Wir müssen unsere seelische Materie, wie sie aus sich heraus und durch Aufnahme fremder Ingredienzien zu einer Materie sui generis geworden ist, zähe und eigenwillig betonen, sonst verfallen wir in die Rolle des Bettlers, der sich rechts den Rock und links die Hose erjaunert, um damit seine Blöße zu bedecken.

Wir haben eine Heimatsprache. Sie ist ein Dialekt, allerdings, aber nicht in dem Sinn, wie anderswo ein Dialekt ausgefaßt und gebraucht wird. Zunächst trifft auf unsern Dialekt zu, was die neue Gesellschaft in ihrer Antrittskundgebung feststellt, daß nämlich die Mundarten besser und älter sind, als die Schriftsprache, und sodann haben wir es mit einer wirklichen Lendessprache zu tun, weil sie durch das ganze Volk bis zu den obersten und gebildetsten Schichten hinauf gesprochen wird, an der Werkbank wie am Ministertisch.

Und da hat sich denn der merkwürdige Zustand herausgebildet, daß sich unsere Mundart als solche schon in eine Sprache des Volks und eine Sprache der Gebildeten geschieden hat, wenigstens dem Wortschatz, den Wendungen, der Konsistenz nach. Der gewöhnliche Mann wird zum Beispiel sagen: Dat aß mer ausdenkeg, der Gebildete scheut vor der volkstümlichen Wendung zurück und sagt: Ech hun et vergieß. Im Volk heißt es kurz und gut: Eis hu gesot - damit ist die ganze Familie gemeint. Der Städter gebraucht dafür allerlei Umschreibungen.

Die neue Gesellschaft will vor allen Dingen das vorhandene Sprachgut vor der Versickerung retten und das Einschmuggeln geistesfremden Materials verhüten. Das soll nicht mißverstanden werden. Wir dürfen der Schriftsprache unter Umständen Wörter entlehnen, die zum Beispiel für abstrakte Begriffe stehen und die im Dialekt kein Äquivalent haben. Wollten wir aus übertriebenem Purismus darauf verzichten, so hätten wir uns von vornherein versagt, unsere Mundart als Ausdrucksmittel unter allen Umständen beizubehalten. Aber es gibt auch im Platt den sogenannten Geist der Sprache, der nur assimiliert, was ihm nicht gegen den Strich geht.

Die Gesellschaft hat sich als Hauptziel die Veröffentlichung eines brauchbaren Wörterbuchs gesetzt. Hoffentlich wird darin mit einer Reihe sinnloser Corruptelen aufgeräumt, die auf Unwissenheit und Überlieserung beruhen aber für die Sprachforschung nur Abfall bedeuten können.

Die Hauptsache ist und bleibt, daß sich die Allgemeinheit von der ungeheuern Wichtigkeit der Erhaltung und Pflege unserer Sprache überzeugt. Ein Volk ohne eigene Sprache ist geistig nicht besser dran, als es wirtschaftlich dran ist, wenn es keine eigene Währung hat. Die Belgier, die als Schriftsprache hier französisch, dort niederländisch reden und schreiben, fühlen sich nie so stark als ein eigenes Volk, wie wenn sie ihr wallonisches Platt reden.

Unser alter Professor Jean Neumann sagte: „Wenn wir Luxemburger das bißchen Platt nicht hätten, müßten wir bellen!“ Er wollte damit andeuten, wie schlecht wir französisch und deutsch reden.

Nun, so wollen wir uns bestreben, wenigstens unsere Muttersprache ordentlich zu „bellen“ und uns keine Ehre daraus machen, sie recht blutrünstig zu verballhornen.

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    KatalognummerBW-AK-012-2623