Original

5. April 1924

Herr Paul Palgen sprach am Donnerstag im schmucken Theatersaal der „Arbed“ vor überfülltem Saal über Brasilien, das er vor Jahr und Tag aus eigener Anschauung und in längerem Aufenthalt kennen gelernt hat.

Seine farbenreichen, lichtsprühenden Schilderungen von Ausschnitten aus dem Leben in Rio de Janeiro kennen die meisten Leser dieser Zeilen aus den «Cahiers Luxembourgeois».

In seinem Vortrag hotte er weiter aus. In einer Form, die sich durch elegante Einfachheit auszeichnete, entwarf er von dem Riesenreich, das im Süden des Panamakanals den Vereinigten Staaten die Wage hält, ein anziehendes und originelles Bild. Originell zumal durch das Talent des Vortragenden, aus der erdrückenden Stoff-Fülle Einzelnes herauszugreifen, das er plastisch in das Gesichtsfeld stellt und das durch seine Bedeutungsschwere weit um sich wirkt, durch seine Ausstrahlungskraft ganze Bezirke eines Kulturganzen erhellt.

Selbstverständlich wird Paul Palgen seine Aufzeichnungen veröffentlichen müssen. Was er zum Beispiel über Urwaldeindrücke in Brasilien sagt, gehört zu dem Unmittelbarsten, Anschaulichsten, was darüber je gesagt wurde. Eine Menge Einzelheiten des Vortrags haften fest in der Erinnerung, weil sie als Endpunkte bestimmter Beobachtungsreihen herausgestellt werden. Kein Zuhörer wird vergessen, daß in Rio das gelbe Fieber durch einen Schüler Pasteurs ausgerottet wurde, der durch ein Heer von Schnakentötern die Seucheherde anhaltend zerstören läßt, daß die Königliche Palmenallee aus einem Mutterkern gezogen wurde, den Dom Pedro I. aus Portugal mitgebracht hatte, daß es unter den Schlangen Brasiliens eine ungiftige gibt, die die giftigen auffrißt - warum gibt es dasselbe nicht bei den Menschen? -, daß die zum Katholizismus bekehrten Neger eine schwarze Muttergottes verehren - folgerichtig müssen sie dann einen Heiland anbeten, der wenigstens Mischling ist, und ihren Himmel mit farbigen Heiligen bevölkern.

Was aber eigentlich als Kern in den Ausführungen des Vortragenden wirkte, war eine kurze Betrachtung über die Zukunftsmöglichkeiten jenes merkwürdigen Landes.

Vor hundert Jahren - also um die Zeit der Unabhängigkeitserklärung, 1825, wo es sich von Portugal losmachte - zählte Brasilien 3 bis 4 Millionen Einwohner. Heute sind es 28 bis 30 Millionen, über fünfzig, hundert Jahre werden es 100 Millionen sein, und Brasilien wird einen solchen Einfluß in der Welt ausüben, daß dadurch die Völkerhegemonie vollständig umgestellt werden kann.

Man denkt unwillkürlich an die Umwälzung, die in der alten Welt durch die Völkerwanderung bewirkt wurde, an das Wort: C’est du nord aujourd’hui que nous vient la lumière. Soll das nächste Jahrhundert eine Umkehr in der Marschrichtung des Fortschritts bringen? So kann es nicht gemeint sein. Ich glaube den Desaitisten nicht, die elegisch von dem alten, morschen Europa sprechen. Im Grund ist geistig und kulturell die ganze Erdoberfläche, die wir unter Übersee verstehen, bis heute nicht aus ihrem Kolonieverhältnis zur alten Welt losgekommen. Von hier gingen alle Einflüsse aus, die in der Entwicklung drüben wirksam waren, und es scheint vorläufig nicht, daß das in absehbarer Zeit anders werden soll, Sollte also eines späten Tages, sagen wir mal Brasilien die Führung in der Welt übernehmen, so wäre es letzten Endes nur ein Sieg Europas - ein Sieg der Mittellinie über alles Extreme, Übertriebene, Zügellose. Übrigens scheint sich nach der Wahrnehmung Paul Palgens das Verständnis für die dauernde Macht der Mittellinie, des Gleichgewichts, auch in Brasilien durchzusetzen. Er erzählte, wie das Verhältnis der weißen zur schwarzen Rasse immer deutlicher zu einer Absorbierung der Schwarzen durch die Weißen führt, und so wahrscheinlich zu einer Rassenlegierung, die am besten an die Verhältnisse angepaßt ist, während in Nordamerika weiß und farbig immer noch gleich Feuer und Wasser ist.

Auf eines dürfen wir stolz sein. Der Grundstein ist dazu gelegt, daß wir Luxemburger bei der zukünstigen Entwicklung Brasiliens nicht zu kurz kommen. Paul Palgen zeigte unter seinen Lichtbildern auch solche, die von den Niederlassungen und Beziehungen der „Arbed“ in Brasilien einen Begriff geben, und er schloß mit dem Wunsch, daß sich daraus die weiteren Anlagen entwickeln, wie die Palmen der Königsallee aus dem Mutterkern, den Dom Pedra aus der Alten Welt hinübergebracht hatte.

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  • lecture by P. Palgen --> Arbed
KatalognummerBW-AK-012-2625