Original

6. April 1924

Ein lieber Freund hat mir aus China einen „lachenden Buddha“ mitgebracht. Er sitzt auf meinem Schreibtisch, mit untergeschlagenen Beinen, und blinzelt mich, mit seinen lustigen, klugen Augen gemütlich an.

„Heute solltest du einmal Einiges zum Lobe der Faulheit sagen.“ (Wir duzen uns nämlich.)

„Der Faulheit?“ frage ich chokiert.

„Gehörst du zu denen, die die Faulheit ein Laster nennen?“

„Nicht grade. Aber daß sie eine Krankheit sei, habe ich glaubwürdig versichern hören.“

„Beide Meinungen sind Irrig. Euer Urteil über Wert oder Unwert der Nebenmenschen ist immer dadurch gefälscht, daß Ihr sie aus dem Augenwinkel Eures statt ihres Vorteils einschätzt. Der intrinsische Wert eines Menschen ergibt sich nur aus einer egozentrischen Abschätzung. Ihr sagt, Faulheit ist ein Laster, und denkt dabei, was alles der Faule zum Wohl seiner Mitmenschen tun hönnte, aber nicht tut. Wie er selbst dabei fährt, das kümmert Euch nicht, aber für ihn ist es die Hauptsache.

Eine Krankheit ist die Faulheit erst recht nicht, denn die Faulpelze gehören immer und überall zu den kerngesundesten Menschenexemplaren. Sieh mich an.“

„Was ist denn schließlich die Faulheit?“

„Die Faulheit ist eine Eigenschaft. Sie ist eine persönliche Eigenschaft, wie ein besonderes Kennzeichen, wie die Farbe der Haare oder Augen, wie O- oder X-Beine, wie Sommersprossen oder ein Zigeunerteint.

Die Faulheit ist im guten Sinne eine Hemmung, die angeborene Tendenz, dem stärksten Naturgesetz, dem Gesetz der Trägheit, zu gehorchen.

Ein fauler Mensch wird selten oder nie zum Verbrecher. Er läßt die Dinge an sich herankommen. Er ist ein Weiser.

Der Faulpelz wird nie ein Streber sein. Und der Streber ist der hassenswerteste der Menschen. Er kriecht nach oben und tritt nach unten.

Der Faulpelz wird sich nie zu etwas machen wollen, wozu er nicht das Zeug hat. Er wird sich nie an einen Platz drängen, an den er nicht gehört und wird nie seine Freunde belästigen, damit sie ihm dazu verhelfen. Er wird nie in den Fall kommen, seiner persönlichen Inszenierung zulieb seine Würde preiszugeben, sein Wort zu verpfänden und später denen, die ihm geholfen haben, in die Hand spucken.

Du machst dir offenbar nicht klar, welche Verheerungen das Gegenteil von Faulheit in der Welt anrichtet. Mit dem Gegenteil der Faulheit meine ich nicht den Fleiß, sondern das Strebertum. Mache die Nutzanwendung zum Beispiel auf dem Gebiet der Kunst. Der geborene Künstler ist seiner Natur nach das, was die Menschen faul nennen. Während er das Kunstwerk in sich ausreisen läßt, sieht es aus, als ginge er müßig. Das ist der Künstler von Gottes Gnaden. Der andere lernt das Äußere der Kunst, weil er gesehen hat, daß damit Geld und Ruhm zu verdienen sind. Dies erworbene Handwerk ist sein Kapital, das er so oft umschlägt, wie es eben geht, und immer in der Währung, auf der am meisten zu verdienen ist. Der Faule aber produziert nur, wenn es aus ihm herausdrängt im natürlichen Kreislauf der seelischen Sonnenwenden. Er ist kein Treibhaus. Ich lasse nichts gegen ihn sagen. Ich will nicht behaupten, daß die Faulheit eine Tugend ist, aber ich bin überzeugt, wenn es in der Welt viel, viel mehr Faule gäbe, sähe es darin besser aus!“

Mein lachender Buddha hatte sich in Eifer geredet. Jetzt sitzt er wieder da mit seinem lieben Gute KerlGesicht, an dem man sich nie müde sieht, in sich beschlossen, abgerundet, ein Bild der Erfüllung, Ruhe, Zufriedenheit - Faulheit.

Es lebe die Faulheit!

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