Original

12. April 1924

Ich habe in den Zeitungen aller politischen Nüancen die Wahlanweisungen für morgen gelesen und finde sie sehr lückenhaft.

Es ließen sich da noch manche nützliche Fingerzeige einschalten, was ich hiermit versuchen will.

Ich bemerke ausdrücklich, daß mir jeder parteipolitische Hintergedanke fern liegt. Einzig und allein im Interesse der gesamten Wähler soll auf Einzelheiten hingewiesen werden, die andere in der Hitze des politischen Gefechts unfreiwillig übersehen mochten.

So lese ich in einer dieser Anweisungen folgendes Gebot:

„Du sollst womöglich um acht Uhr, jedenfalls nicht später, als um neun Uhr gehen.“

Das könnte zu bedauerlichen Mißverständnissen führen. Hinge diese Anweisung zu Bad Mondorf in der Brunnenhalle, so wäre sie klar und unzweideutig. Aber wenn es sich um den Anfang eines Wahlgeschäftes handelt, so ist es mit dem Gehen nicht genug, man muß auch ankommen.

Rückhaltlos zu billigen sind die folgenden Nichtlinien, die ich demselben Blatt entnehme:

„Im Wahlbüro bekommst du vom Präsidenten einen gefalteten Zettel.

„Den nimmst du und gehst damit in die Zelle, die man dir anweist.

„Hier ist ein kleines Pult und findest du auch einen Bleistift.

„Wenn dieser so stumpf ist, daß du nicht damit schreiben kannst, so gibst du ihn einem Mitglied des Büros mit der Bitte, ihn erst zu spitzen.

„Dann entfaltest du deinen Zettel und legst ihn auf das Pult.

„Darauf sängst du zu stimmen an.“

Soweit ist alles in Ordnung.

Aber vielleicht ließen sich doch noch einzelne Ratschläge für immerhin mögliche Eventualitäten hinzufügen. Ich würde beispielsweise vorschlagen:

„Bevor du zu stimmen anfängst, schnäuze dich noch einmal gründlich und gewissenhaft.

„Hast du kein Taschentuch bei dir, so gehe zu einem Mitglied des Büros mit der Bitte, dir seines zu leihen.

„Merkst du, bevor du zu stimmen anfängst, daß du vorher noch „gehen“ mußt, so wende dich wiederum vertrauensvoll an ein Mitglied des Büros mit der Bitte, dir zu zeigen, wo es ist.

„Kannst du nicht lesen und schreiben, so geh zu Fuß.

„Kannst du lesen und schreiben, so mache davon keinen Mißbrauch, indem du quer über den Wahlzettel schreibst: M .... pour tous! oder: Steigt mir alle den Buckel hinauf! Ein solcher Zettel wäre von vornherein ungültig.

„Liegt dein Wahlbüro in Bonneweg-Süd, so gehe nicht nach Limpertsberg.

„Liegt es im ersten Stock, so mußt du eine Treppe hinausgehen, liegt es im zweiten Stock, so mußt du zwei Treppen hinaufgehen, liegt es im Erdgeschoß, so brauchst du keine Treppe hinaufzugehen.

„Merkst du, daß du deinen Zettel wie man sagt versaut hast, so wende dich vertrauensvoll an ein Mirglied des Büros mit der Bitte, dir einen andern zu verabfolgen. Hast du auch diesen versaut, so wende dich wiederum vertrauensvoll usw. wie oben. Das darfst du wiederholen, bis das Wahlgeschäft vorbei ist und die Büromitglieder zum Mittagessen gehen.

„Hast du deine Wahlpflicht erfüllt und möchtest einen genehmigen, merkst indes, daß du deine Geldtasche vergessen hast, so wende dich vertrauensvoll an ein Mitglied des Büros mit der Bitte, dir eben mal auszuhelfen.

„Und dann gehst du nachhause und kannst sicher sein, gescheiter gewesen zu sein, als die Tausende, die letztes Mal einen falschen Zettel abgegeben haben.

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