Original

15. April 1924

Ein Grammophon spielte die tottraurige Weise: It’s a long long trail awinding - To the land of my dreams ......

Die Novembertage 1918 stiegen auf, die Bässe der Militärmufil schnarchten den Marsch «National Emblem» vor dem Schloß, während die Sammies defilierten, abends hob es sich im Kasino von Offizieren und «Privates», die schon mit den Luxemburgern „Freund gemacht“ hatten. Jeder von uns, der in einer Gehirnecke ein bißchen eingestaubtes Englisch liegen hatte, holte es eifrig hervor, der dicke Burr Mc Kintosh hielt flammende Reden an die Versammlung und wurde auf guten Glauben wütend beklatscht und bildete sich ein, die Leute hätten ihn verstanden, und auf einmal saß Putty Stein am Klavier und spielte das Lied der amerikanischen Soldaten: «It’s a long long trail ......»

Wie anders klang es, als: It’s a long way to Tipperary! Wir hatten gelesen, wie auf den ArgonnenSchlachtfeldern die Amerikaner in den Tod gerannt und gefallen waren, wie die Mücken. Da saßen jetzt die, die davon gekommen waren. Sie hatten die Schwingen des Todes über sich rauschen gehört, und wenn sie von dem langen, langen Weg ins Land ihrer Träume sangen, tat es uns leid um sie, nachträglich zwar, aber doch leid in der Seele, daß wir hätten heulen können. Die armen, lieben Kerle! Tausende Meilen waren sie übers Wasser gekommen, uns zu helsen, nun sollten sie es aber auch gut haben! Und wurden gehätschelt, daß ihnen die Augen übergingen. Die Poesie aller Fernen war um sie, der Ferne des Todes und der Ferne jenes Landes, das in unserer Phantaste lebt, seit wir denken können. A long long trail .....!

Allmählich kam die Wirklichkeit. Erst glaubten wir ihnen alles, denn, nicht wahr, sie hatten dem Tod ins Auge geschaut, dies Ungeheure war unbedingt wahr, warum sollte es das andere nicht sein! Später erfuhren wir dann nach und nach, daß jener, der sich als Tabakpflanzer ausgegeben hatte, Postkommis war, dieser, der große Bankier von Los Angeles, war Hotelportier, ein anderer, der als möglicher Freiersmann von allen Müttern heiratsfähiger Töchter becourt wurde, war drüben schon seit Jahren stark verehelicht und vielfacher Familienvater. Es ging, wie mit jedem Logierbesuch. Die Zeit kam, wo wir dachten: Wenn sie jetzt gehen, werden wir ihnen vergnügt adieu sagen und mit Genuß an sie zurückdenken. Denn „hart im Raume stießen sich die Sachen“. Das Menschliche. Allzumenschliche erdrückte die Poesie, und wenn nun noch ein Yankee-Boy, der ein Dutzend Gläser Snaps über den Durst getrunken hatte, «it’s a long long trail» sang, während er heimtorkelte, wurde er von einem M. P. unzart angesaßt, und wir fanden das ganz in Ordnung und waren imstand, darüber zu lachen.

Seither sind drei, vier Jahre ins Land gegangen. Und siehe da, die Poesie ist der Prosa Herr geworden. Die schönen Eindrücke der ersten Zeit hatten ein zäheres Leben, als die rauhen Materialitäten, die ihnen folgten. So verklärt sich die böse Unwirtlichkeit der Alpengipfel in der Ferne zu unsäglicher Zartheit. Die Sammies sind weit, in der Zeit und im Raum, und sie sind uns wieder lieb, wie in jenen Tagen, wo sie als die Befreier kamen, wir denken an die knabenhafte Heiterkeit, mit der sie bei Aincreville in den Kugelregen liefen, sehen die weißen Kreuze des amerikanischen Friedhofs von Romagne in der Sonne leuchten, hören wieder die Bässe den «National Emblem» schnarchen, denken an das wunderbare junge Land da drüben, das eine Heimat der ganzen Welt sein will und sein könnte - und das seltsam traurige Lied, das damals die Sammies mit Heimweh in den Augen sangen, findet uns wieder mit weichen Seelen empfangsbereit.

TAGS
  • Musik
  • memory (war)
KatalognummerBW-AK-012-2633