Original

19. April 1924

Unsere Unabhängigkeit ist nun für alle Zukunft durch die Briefmarkensammler sichergestellt.

Die internationale Philatelistik ist eine Macht, die stärker ist, als das Freimaurertum und die Jesuiten. Sie wird es nicht zugeben, daß aus der europäischen Geographie ein Land verschwindet, dessen Briefmarken zu den schönsten und seltensten der Welt zählen. Schon allein durch die Ausgabe neuer BriesmarkenSerien beweisen wir unsere Daseinsberechtigung als ein selbständiges Volksganze. Und wenn jemals wieder die Rede davon gehen sollte, uns von einem großen Nachbarstaat aufsaugen zu lassen, würden Millionen von Sammlern dagegen Front machen.

Spaß beiseite: Es wurde in der Presse schon hervorgehoben, daß die Zulassung von Spielhöllen in Bad Mondorf und Bad Echternach uns vor dem normalen Sittlichkeitsempfinden der Kulturmenschheit nicht mehr bloßstellen würde, als der Zynismus, mit dem hier von Staats wegen wertlose oder relativ wertlose Papiervierecke als Spekulationsobjekt in die Massen geworfen werden. Denn es kann sich in der Idee derjenigen, die zum Beispiel jetzt die AdelheidCaritas-Marken ausgegeben haben, doch nur um ein Spekulationsobjekt handeln. Oder will die Postverwaltung behaupten, es werde jemals irgendeine Postsendung mit einer dieser Marken frankiert werden?

Das führt zu einer weiteren, allgemeineren Betrachtung über dies Markensammlerunwesen.

Ursprünglich kann es sich bei der Liebhaberei, die sich den Postwertzeichen zuwandte, nur um gebrauchte und abgestempelte Marken gehandelt haben. Heute ist dieser Faktor Nebensache. Man sammelt nicht mehr, man kauft, und man kauft die Marken neu, ungebraucht, und ohne die mindeste Absicht, sie je auf irgendeine Postsendung zu kleben. Aus der Briefmarke ist eine Staatsbanknote geworden, die dem Gesetz der Valuta unterliegt, wie alles Papiergeld. Der Tag wird kommen, wo die Philatelie auch dem Fluch der Inflation versallen muß und wo sie auf diesem Weg ad absurdum geführt wird.

Sagen Sie nicht, diese Worte fließen aus dem Ärger darüber, daß ich keine Caritas-Marken mehr ergattert habe. Ich habe nie in meinem Leben Briefmarken gesammelt und werde am allerwenigsten heute dazu übergehen, wo diese Liebhaberei jeden Reizes außer dem des Spekulationssiebers bar ist. Und folgerichtig müßte sie dazu führen, daß schließlich kein Brief mit einigermaßen besonderer Frankatur mehr sicher wäre, an seine Bestimmung zu gelangen. Es kommt schon heute nicht selten vor, daß Sendungen ohne ihre Marken ankommen. Ich kaufte kürzlich an einem Postschalter eine Dreifrankenmarke für ein nach Amerika bestimmtes Kuvert. „Gefährliche Sache!“ bemerkte mir der Schalterbeamte. - „Wieso?“ - „Ei, solche Marken sind unterwegs eine große Versuchung.“ - Nun kleben aber bekanntlich die Kunden der Post, die ein staatliches Monopol ist, die Marken auf die Briefe, damit sie befördert und nicht, damit sie gestohlen werden.

Diese Versuchung besteht, solange Briefmarken gesammelt werden. Man sollte sagen, das Sammeln sei heute die Hauptsache. Das war bei der Einführung der Briefmarke nicht beabsichtigt. Ich stelle zur Erwägung, ob die Briefmarken nicht in einer Form herzustellen wären, die der Sammelei ein für allemal den Garaus machte: Ein einfacher Zettel mit einer Zahl und einem Stempel drauf, schwarzweiß, und bis auf die Ziffer gleich für alle Werte. Oder man soll das Papiergeld kleiner machen und es zugleich als Brieffrankierungsmittel zulassen.

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KatalognummerBW-AK-012-2637