Original

27. April 1924

Ich leiste Abbitte. Ich tue Buße in Sack und Asche. Ich bereue es bitter, hier geschrieben zu haben, daß niemand je einen Brief mit einer Caritas-Marke frankieren wird, aus Angst davor, daß die Marke gestohlen und der Brief verschummelt würde.

Ich bekam am Ostermontag einen Brief, der nicht nur mit einer Caritas-Marke, sondern außerdem mit zwei wertvollen andern Marken beklebt war. Ich bekam ihn. Er lag harmlos in meinem Briefkasten, als handelte es sich um eine Drucksache mit Alltagsfrankierung. Und inwendig im Brief steht: „Es würde mich doch freuen, zu hören, daß die Marke ankam. Ich frankiere auch extra schön, weil Sie nicht Sammler sind.“

Ich danke dem Herrn für seine Aufmerksamkeit und kann ihm verraten, daß seine Marken trotzdem den Weg in ein Sammleralbum gefunden haben.

Er schreibt mir noch außerdem allerlei, was ich meinen Lesern nicht vorenthalten möchte.

„Sie sind ein alter Nörgler. Immer und immer die Post! Und die ist doch geplagt genug und schlägt alle Rekorde. Sie tun ihr Unrecht, wahrhaftig. Wenn Sie zum Beispiel hier Samstags morgens 8 Uhr Briefe zur Post geben, einen nach Paris, einen zweiten nach einer Ortschaft an einer Bahnstrecke zehn Kilometer von hier, so wird der erstere Sonntags morgens in Paris ausgeteilt, der andere Adressat erhält seinen Brief Montags. Das ist doch nett!

„Sie mit Ihrer ewigen Nörgelei sind schuld, daß Sonntags abends 6 Uhr ein Briefträger alle Briefkasten leeren muß, und um 7 Uhr die Briefe abgehen, damit sie in Luxemburg mit den ersten Zügen in alle Welt getragen würden. Das hat doch keinen Zweck. Sehen Sie, vor vierzehn Tagen schrieb ich nach Sandweiler eine Karte und trug sie Sonntags 4 Uhr zur Post. An dieselbe Adresse schrieb ich Montags einen Brief. Der Einfachheit halber brachte der Briefträger Karte und Brief Dienstags mittags in das Dorf Sandweiler.

„Daraus ersehen Sie ganz deutlich, daß Sie dem Staat unnütze Ausgaben verursachen, die gar keinen Zweck haben.

„Und dann die Caritas-Marken! Glauben Sie, die Briefe mit seltenen Marken kämen nicht an? Am 1. März letzthin, schrieb ein Bekannter von mir einen Brief an seinen Verwaltungschef, legte noch ein für ihn wertvolles Schriftstück bei, Adresse gedruckt, das S. P. ganz stolz oben in der Ecke.

„Vorgestern erklärt der Chef auf Anfrage, der Brief sei bis jetzt noch nicht angekommen. Soll der Brief einem S. P. Sammler unter die Finger gekommen sein? Wegen der armseligen Marke wird ein Brief nicht entwendet.

„Ich wollte, es wäre morgen, am heiligen Ostertage, keine Sonntagsruhe, der Briefträger käme Sie um 7 Uhr aus dem Bett schellen und würde Ihnen den Brief geben mit einer Caritas-Marke! - Dann würden Sie sich auch mal ärgern, Sie haben die Post geärgert genug.“

Dazu bemerke ich: Erstens, wer sich ärgert, hat unrecht: a) Weil er sich ärgert und dadurch seiner Gesundheit schadet, und sodann b) weil er, wenn er recht hätte, sich nicht ärgern würde. Also ärgere ich mich nicht. Zweitens hat es die Post so menschenfreundlich eingerichtet, daß kein Briefträger schon um 7 Uhr morgens die Bewohner unseres Viertels „aus dem Bett schellt“. Drittens, wenn mir wieder ein guter Freund einen Brief mit einer seltenen Marke darauf schicken will, so wird er hoffentlich die Vorsicht gebrauchen, die Sendung nicht in demselben Brief anzuzeigen. Denn wenn Brief und Marke unterwegs verschwänden, wie könnte ich dann wissen, daß mir ein solcher Schatz zugedacht war? Es ist ähnlich, wie wenn mir jemand schriebe: Kommen Sie heute abend, die Türe ist zu, aber der Hausschlüssel liegt inwendig auf der Kommode im Hausgang.

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