Ich höre den Winter sagen: „Die Herrschaften entschuldigen, der Frühling ist momentan noch anderweitig beschäftigt, er hat wegen der vielen notleidenden Deutschen an der Riviera noch alle Hände voll zu tun und bittet mich, einstweilen den Betrieb weiterzuführen. Ich tue, was ich kann, Sie sehen, ich habe bis jetzt alle Liesersristen so ziemlich eingehalten, die Kastanienbäume sind grün, die Kirschen blühen, viel besser hätte es der Frühling selbst auch nicht machen können. Freilich, den Zauber seiner Persönlichkeit kann ich Ihnen in meinem Alter nicht ersetzen, Sie müssen schon vorlieb nehmen.“
Es ist wirklich wahr, dieser Frühling ist bis jetzt wie eine Fortsetzung des Winters gewesen, wie ein junger Haushalt, wenn die Frau nicht heimgeht und die Schwiegermutter kochen muß. Schien die Sonne, so führte ein rauher Nordost das Regiment, schien sie nicht, so rumorte der Winter mit eiskaltem Regen und Hagelschlossen umher. Man kann sich da schon seine Sorgen über die Fortsetzung machen.
Als ich dieser Tage einem großen Gelehrten meiner Bekanntschaft begegnete - er weiß auch in der Wetterkunde Bescheid - begann ich mit ihm über das Sudelwetter und den verspäteten Frühling zu reden. Er sagte gütig und überlegen, ich solle mich beruhigen, er habe nachgesehen, es könne noch alles sich zum Besten wenden, 1893 und 1917 zum Beispiel sei es genau das Gleiche gewesen, und dach gehören diese zwei Jahre zu den besten, die er verzeichnet habe. Es fehlte nicht viel, so hätte er gesagt: „zu den besten, die ich gemacht habe.“
Wenn man den Tag nicht vor dem Abend laben soll, so soll man sich über das Jahr auch nicht vor Allerheiligen aufregen. Denn die Jahre sind, wie die Menschen, manchmal auch wie der Wein, der sich um so herrlicher abklärt und auswächst, je stürmischer er als Most gegärt hat.
Wissen Sie nicht von schönen Frauen, die als junge Mädchen wegen ihrer Häßlichkeit berühmt waren? Sie hatten Spinnebeine, Arme mit Hummerscheren am Ende, die sie errötend vor jedem fremden. Blick zu verstecken suchten, Sommersprossen, mißtrauisch erschrockene Augen, keinerlei Ansatz zu süßer Rundung, mißfarbenes Falbhaar, Bewegungen, wie junge Hunde - und „als ich wiederkam, als ich wiederkam, waren Kisten und Kasten voll,“ aus dem Scheusal war ein berückend schönes Geschöpf geworden, von dem ein Wort, ein Blick, eine Berührung genügte, den stärksten Mann zu verzaubern.
Und weiter: Wissen Sie nicht von Tunichtguten, Schwerenötern, Draufgängern, Sausewinden, die in ihrer frühen Jugend alle Fenster einwarfen, oder die in ihres Lebens März und April nicht knospen, und nicht blühen zu können schienen, Rohlinge oder Leisetreter, die brüllend um sich schlugen oder sich schüchtern verkrochen - und die alle mit einemmal ihren Weg sanden, die einen aus der Stille, die andern aus dem Sturm heraus, nach den Höhen des Lebens?
Darum sagt nicht im April, wie das Jahr noch werden wird, und laßt die Jugend sich austoben und sich auswachsen, und spielt nicht die Glücks- oder Unglückspropheten, wenn eine oder einer gut oder schlecht vom Start geht. Bis zum Endspurt ist noch eine lange Strecke.