Original

4. Mai 1924

Tausende lasen in der Zeitung, daß in Remich der fünfzigjährige Fischer Joseph Schumacher ertrunken ist, und dachten sich weiter nichts dabei. Sie kannten ihn nicht, mit ihm verschwindet nichts Sichtbares aus ihrem Leben. Er war für sie ein Unpersönliches, ein Teilchen der großen Masse, die für sie durch seinen Tod nicht verändert ist.

Ich kannte ihn und ich fühle die Tragödie seines Todes. Er war einer der Menschen, die arbeiten und ihre Pflicht tun, weil der seelische und körperliche Stoff, aus dem sie gemacht sind, sich zu Abwegigkeiten nicht eignet. Schwere, massige, gereckte Glieder, wie mächtige Hebelarme, ein schwarzer, hängender Schnurrbart, große, gedehnte Züge, in ihnen der ruhige Ernst, der die trockne Sachlichkeit eines Arbeiterlebens widerspiegelt.

Er war Fischer. Das hört sich heiter, idyllisch, romantisch an und ist gar wenig dergleichen. Ein Moselsischer, der von seinem Gewerbe leben will, weiß, was er seinen Gliedern zuzumuten hat. Die sündhaft hohe Pacht muß herausgewirtschaftet werden, für die schwere Fron muß ein entsprechender Verdienst herausspringen, und das alles will geschafft sein. Du denkst nicht daran, liebe Leserin, daß der Hecht, der in Deiner Küche in Weinsauce kocht, daß die Rotaugen, die in Deiner Pfanne von Schmalz und Öl umbrodelt werden, daß der Aal, den Du mit Karpfen zu einer leckern braunen Matelotte kochst, die helmtückischen Feinde des Fischers waren, die er in mühseliger Arbeit und mit viel Geduld und Geschick überlisten mußte, bis sie ihm verfallen waren. Alles um den Fischer herum ist sein lauernder Feind, das unheimliche Wasser, aus dem der Tod mit tückischen Händen fortwährend heimlich nach ihm greift, Wind und Weiter, die seine Pläne andauernd durchkreuzen und gegen die er jahraus jahrein im Verteidigungszustand sein muß, das Unkraut, das in der Tlese wuchert, jeder Stock und jeder Stein, an denen seine Netze zerreißen, jeder Fischwilderer, der ihm die Reußen und Nachtschnüre hebt, der Staat, der sich seine Lage zunutze macht, um ihn zu unerschwinglichen Pachten zu animieren, und zu guter Letzt die Fische, die ihn necken und narren. In brennender Sonnenglut und in eisiger Kälte, bei Tag und bei Racht, wenn der Strom zu schmalem Rinnsal versiegt ist und wenn er als breiter See über alle Ufer schwillt und mit unheimlich verhaltener Wucht die Schwerkraft seiner trüben Wassermassen dahinwälzt, immer ist das Wasser der Feind, mit dem der Fischer um sein Leben ringt, dem er die Beute entreißt, auf die er ein Recht hat, aber die er nur in zähefter Arbeit gewinnt.

Nun ist der unheimliche Feind wieder eines Fischers Herr geworden. Er hatte ihm seit Jahrzehnten aufgelauert, er hatte ihn nicht herunterziehen können, wenn er sich in mühseligem Tagewerk über den Nachenrand legte, nicht einmal, wenn er in prächtiger Heldenstellung von der schmalen Bank an der Nachenspitze das Netz hinauswarf, das an seinen Muskeln mit schwerem Bleigewicht zog und gegen das er mit allen Fasern sein Gleichgewicht in acht nehmen mußte. Und nun hat ihm der Tod eine dumme, brutale Falle gestellt, hat ihn von seinem Nachen geschnellt, wie mit einer Drahtsehne einen Pfeil vom Bogen, hat ihn langsam gewürgt, bis ihn die Kräfte verließen und die grausamen Hände, die so lange vergebens nach ihm gegriffen hatten, ihn endlich in die Tiefe ziehen konnten.

Es ist eine unheimlich berüchtigte Stelle. Schon mehr als einer ging dort auf den Grund, bei klarem Sommerwasser, und wenn man die badende Jugend dort sich tummeln sieht, wird einem unheimlich zumut und man denkt an die Vögel, die auf der Nase und im Rachen schlasender Krokodile herumhüpfen.

Ich denke in tiefstem Mitleid an die Hinterbliebenen des Toten und ich erinnere mich des ersten Males, wo ich in sein Haus kam. Sein altes Mütterchen, dem er ähnlich sah, saß allein in der Stube und sagte, er sei nicht zuhaus. Erl Das war ihr Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Er war das hilflos Kleine gewesen, das ihr an der Brust gelegen, Er war der starke Mann, der Pfeiler der Familie und wenn sie einmal nicht mehr wäre, sollte Er in Glück und Wohlergehen sein Leben weitergenießen.

Ex der für die Tausenden da draußen nichts war, als ein Name, Er war ihr alles, und Er ist tot.

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