Wenn wir von „unsern großen Nachbarn“ reden und damit die Mächte meinen, zu denen wir in engeren Beziehungen stehen, so denken wir in der Regel nur an Frankreich, Belgien und Deutschland. Und dresen gegenüber empfinden wir instinktiv unsere Kleinheit und Abhängigkeit.
Es gibt indes außer ihnen eine Großmacht, mit der uns ein wo möglich noch engeres Verhältnis verknüpft: Italien.
Das mit Bezug auf Frankreich geprägte Wort von den zwei Vaterländern gilt uns auch für Italien. Nicht nur, weil in Pisa der Luxemburger Heinrich VII. begraben liegt - minus ein Fingerknöchelchen - oder wegen der Erinnerungen, die viele von uns an Italien fesseln oder überhaupt wegen aller materiellen und idealen Gründe, die Italien zum klassischen Traumland für Millionen machen -, sondern natürlich, wie Sie es erraten haben, wegen der vielen Italiener, die bei uns in Arbeit und Geschäft und in der ganzen nationalen Betriebsamkeit einen so starken Einschlag bilden, wie sonst nirgendwo im selben numerischen Verhältnis.
Wir haben uns eine luxemburger Schweiz zugelegt, trotzdem wir keine Berge haben - wir haben hingegen verschiedene Italien, die ihre Namen vollauf verdienen, da sie fast nur von Italienern besiedelt sind oder doch ursprünglich waren. Die Italiener sind in der Industriegegend ein ausschlaggebender Teil der Bevölkerung, ihr Einfluß macht sich seit mehr als einem Menschenalter bemerkbar, die ganze männliche Arbeitertracht im Erzbecken zum Beispiel hat seit einem halben Jahrhundert italienischen Einschlag.
Die Frage drängt sich auf: Sind wir Italien wegen der wertvollen, unentbehrlichen Arbeitskräfte, die es uns liefert - oder ist Italien uns wegen des Verdienstes, den seine Söhne hier finden, Dank schuldig?
Solche Fragen werden von Land zu Land - wie von Individuum zu Individuum - gewöhnlich nach dem Gesetz der Schwere gelöst. Wir sind gewöhnt, uns den andern gegenüber als der Kleinere, Schwächere, entweder Beschützte oder Bedrohte zu empfinden. Daraus entwickelt sich im Reiche des Gefühls Dank oder Mißtrauen. Frankreich gilt uns als der große Besreier, Deutschland als die große Gesahr, Belgien als der große Bruder, der mit uns Geschäfte machen will, zuweilen mehr, als wir für zuträglich halten.
Italien gegenüber - und das ist das Eigentümliche - haben wir gar nicht dies Gefühl des Mißverhältnisses, nicht einmal des quantitativen Mißverhöltnisses. Wir werden, das fühlen wir überall heraus, von Italien als ebenbürtig, gleichberechtigt behandelt. Das Verhältnis wird offenbar von einem starken Solidaritätsempfinden beherrscht, und daher kehrt Italien mit liebenswürdiger Beflissenheit hervor, was seine Söhne hier für eine ersprießliche Gastfreundschaft genießen, während wir uns umgekehrt wohl bewußt sind, welchen wesentlichen Faktor italienische Arbeitskraft und Initiative in unserm Wirtschaftsleben dorstellen.
Die italienische Diplomatie hat, um uns zu nehmen und sich zu geben eine Art, für die wir, die Kleinen, ihr besonders dankbar sind. Sie findet seit einiger Zeit ihren Ausdruck unter anderm in dem neugegründeten Presse-Organ «Corriere Italiano». Dies in Bern erscheinende illustrierte Wochenblatt enthält bei jeder Nummer eine Pagina del Lussemburgo, die unserm Ländchen gewidmet ist. Sie bringt unparteiische, gut dokumentierte Leitartikel über hiestge Einrichtungen oder Verhältnisse, Lokalnachrichten, landschaftliche Ansichten usw. und trägt in anerkennenswerter Weise dazu bei, daß die Leser ein richtiges Bild von Luxemburg gewinnen.
Wenn man liest, in welcher grotesken Verzerrung Luxemburgs Land und Leute durch die auswärtige Presse fast immer gezeichnet werden, muß man der Leitung des «Corriere Italiano» für ihre luxemburger Pagina wirklich dankbar sein.