Eine freundliche und zweifelsohne reizende Leserin schreibt mir folgenden Brief:
Sie gebrauchten kürzlich in der Zeitung den Ausdruck: „Der Mann geht nicht heim.“ Sie sprachen von einer Frau, die daheim ihren Mann erwartet, und die, daß er immer noch ausbleibt, von ihm sagt: Er geht nicht heim.
Merken Sie, wo ich hinaus will?
Wenn ich von einem sage, er geht nicht, so meine ich damit, daß ich bei ihm bin, und daß er nicht von mir fortgeht. Im andern Fall sage ich: Er kommt nicht. Ich warte auf ihn, aber er kommt nicht. Wir sagen falsch: Ich komme Euch nächstens besuchen. Der Franzose sagt ganz richtig: j’irai vous voir. Wenn jemand, der hier einem Pariser Freund begegnet, zu ihm sagt: Jo viendrat vous voir à Paris, so wissen wir bestimmt, daß seine Wiege diesseits Longlaville gestanden hat.
Also kommen und gehen macht einen großen psychologischen Unterschied. Einen größeren, als Sie sich vielleicht vorstellen.
Eine Frau sagt: Mein Mann geht abends nie heim. Sofort stelle ich mir das Verhältnis folgendermaßen vor. Es wird abends immer achter, die Frau denkt: Unser August leistet sich wieder einen Junggesellenabend. Aber da kennt er Buchholzen schlecht! - Sie läßt Tee und kalten Aufschnitt auf dem Tisch stehen und begibt sich auf die Suche nach ihrem August. Da, wo sie ihn vermutete, ist er nicht. Erst gegen zehn Uhr findet sie ihn irgendwo in einer gemütlichen Bierstube mit drei Freunden beim Skat. Sobald er ihrer ansichtig wird, fällt ihm ein, daß er noch nicht Abendbrot gegessen hat, und er bestellt sich ein hartes Ei. Seine Frau fragt beleidigt, ob er denn glaubt, sie könne von der Luft leben, und wann er denn endlich nachhaus geht. Natürlich müssen sie die Partie zu Ende spielen. Und dann geht er erst recht nicht. Und zuletzt hält sie auch gar nicht mehr so entschieden darauf, daß er nachhause geht, denn das Bier ist gut und eine wohlige Abspannung hat ihr die Glieder gelöst.
So denke ich mir die Frau, die immer sagt, ihr Mann gehe abends nie nachhaus.
Dahingegen die andere. Sie ißt, wenn es sein muß, allein zu Nacht und denkt mit Bedauern: Der arme Mann ist wieder aufgehalten worden und er hat sicher keine Verbindung bekommen. Das Telephon ist ja so unzuverlässig.
Dann besorgt sie den Haushalt und setzt sich mit einem Buch oder einer Arbeit hin - der arme Mann kommt immer noch nicht. Die Augen fallen ihr zu. Ach, vielleicht kommt er grade, wenn du das Licht ausdrehst. - Sie geht zu Bett. Und überm Einschlasen denkt sie zärtlich: Er ist nicht gekommen. Wenn er doch jetzt noch käme!
Und spät in der Nocht: Bist du’s, Schatz? Endlich kommst du!
Sehen Sie, so stelle ich mir die zwei Frauen vor, die eine, die gehen, und die andere, die kommen sagt.
Wir Frauen sind das Bleibende, wir müssen warten und erwarten können, bis kommt, was uns beschieden ist.
Ich hätte geschrieben: Mein Mann kommt nicht heim.
Hochachtungsvoll Finchen M.