Original

16. Mai 1924

Herr General-Direktor Bech. soll, einer Anregung aus parlamentarischen Kreisen folgend, die Absicht haben, den Restbestand der Auflage des „Wörterbucho der Luxemburgischen Mundart“ der heimischen Sprachforschung nutzbar zu machen, indem er einer Anzahl in dieser Richtung interessierter Personen je ein Exemplar zur Verfügung stellen will, wofür sie als Entgelt in einem andern Exemplar zum Gebrauch der Stelle, die das neue Wörterbuch ausarbeiten soll, ihre Bemerkungen schriftlich niederzulegen hätten.

Die Idee ist dankbar zu begrüßen. Von dem alten Wörterbuch liegen, heißt es, noch weit über hundert Exemplare auf dem Speicherboden der Regierung. Viele der Jüngeren, die sich der luxemburger Dialektforschung widmen oder auch nur sich dafür interessteren, haben das Wörterbuch vielleicht nie zu Gesicht bekommen. Trotz der großen Mängel, die es aufweist, bildet es für weitere Arbeiten eine wertvolle Grundlage. Durch Kammerbeschluß vom 19. Februar 1897 war der Regierung ein Kredit von 3000 Franken zur Verfügung gestellt worden „behufs Sammlung und Aufzeichnung unseres nationalen Sprachschatzes“. Eine Kommission (HH. Henrion Ch. Müllendorff, Schliep, Spoo, Jos Weber Nik. van Werveke, Paul Clemen André Duchscher, Wilhelm Goergen, arbeitete das Wörterbuch in zweihundert Sitzungen aus, wovon allein fünfzehn der Feststellung der Rechtschreibung gewidmet waren. Die Kommission legte ihren Arbeiten ein von Dicks verfaßtes Wörterbuch sowie eine parallel damit entstandene Arbeit des Zahnarztes Jos. Weber zugrund. Es kam ihr vor allem darauf an, das rohe Material zum Gefüge eines künftigen, mehr nach wissenschaftlichen Richtlinien entworfenen Baues zusammenzutragen.

Die Leistung ist, wie gesagt, hoch anzuerkennen, trotzdem sie manche Mängel aufweist, und es wird äußerst befruchtend wirken, wenn jetzt von dem zuständigen Regierungsmitglied auf dem angegebenen Wege die Dialektforschung in Fluß gebracht wird.

Es wurde an dieser Stelle schon einmal die Ansicht ausgesprochen, daß sich unsere Mundart schon in eine Schrift- und eine Volkssprache geschieden hat. Aufgabe des neuen Wörterbuchs kann es nicht sein, alle im Volksmund eingebürgerten Corruptelen als nationales Sprachgut zu registrieren, vielmehr soll es dazu helfen, statt der verstümmelten Wortbilder, sosern sie keinen Wert grade als solche besitzen - und manche sind grade wegen der Verstümmelung merkwürdig - wieder den richtigen Ausdruck durchzusetzen. Ich stieß beispielsweise dieser Tage auf das Wort „Ruelgen“, womit ein Gesängnisgitter bezeichnet war. Richtig heißt es aber „Truelgen“ (franz. treille).

Eine wahre Landplage ist die Silbe „kruht“ geworden. Als Imperfektum von „kre’en“ ist sie zu begrüßen, aber wenn einer sagt: „Ech hu kruht“, so knirscht das jedem Luxemburger mit angeborenem Sprachgefühl unter den Zähnen.

Die Erzeugnisse des heimischen Schrifttums waren bisher auf einen sehr beschränkten Leserkreis angewiesen, und infolgedessen macht sich das Volk mit der luxemburger Rechtschreibung nur langsam vertraut. Schlimmer, als das langsame Tempo, ist indes die babylonische Verwirrung, die auf diesem Gebiet noch immer besteht.

Wir hätten heute ein Mittel, verhältnismäßig rasch die Massen an das Lesen der heimischen Mundart zu gewöhnen und zugleich eine einheitliche Rechtschreibung langsam, aber sicher zum Gemeingut des Volkes zu machen.

Dies Mittel heißt der „Gukuk“. Dies Witzblatt, dessen Name allein schon ein Vermögen bedeutet, wird jede Woche von vielen Tausenden gelesen. Luxemburger, die sonst nie eine Zeile von einem heimischen Literaten zu Gesicht bekommen, lesen allsamstäglich die Geschichtchen vom Broulli und Jeo und Jupp und wie sie alle heißen. Wären alle diese Geschichtchen in einer einheitlichen Rechtschreibung zu Papier gebracht, so setzte sich diese über Jahr und Tag bei allen Lesern fest. Und zugleich könnte die intelligente Leitung des „Guknk“ bewirken, daß philologisch und lexikologisch die Beiträge in eine einwandfreie Form gebracht würden.

Der „Gukuk“ als amtliches Organ der luxemburger Sprach-Akademie - das hatte er sich nicht träumen lassen. Und doch ist obige Anregung durchaus ernst gemeint.

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    KatalognummerBW-AK-012-2659