Original

17. Mai 1924

Am vorigen Donnerstag begann die Lawn-TennisSaison auf dem Sportplatz der Schützengesellschaft im Kreuzgründchen. Der hl. Sebastian hätte sich nicht träumen lassen, als er zum Schutzpatron der Schützen erkoren wurde, daß er jemals auch noch die Ballspieler unter seine Fittiche nehmen müßte. Dennoch dünsen sie ihn mit Fug anrufen, weil sie mit den Schützen das Zielen und Treffen als Hauptinhalt ihrer Betätigung gemeinsam haben. Und wenn sie an milden Sommerabenden mit ihren Partnerinnen nach vollendetem Spiel und Imbiß im Freien zum Foxtrott antreten, ist noch ein andrer dabei, mit Pfeil und Bogen, der sich zur Sankt Sebastiansgilde zählen darf.

Wehmütigen Herzens liest heute der Abreißkalendermann, was er am Tage nach der Eröffnung dieser Rubrik vor zirka elf Jahren, am 26. September 1913, über Tenntsspiel und seine Schönheit geschrieben hat:

„Ich bin kein Tenor des Lawn-Tennis, wenn ich auch zur Not einen Teppichklopfer von einem Rakeit unterscheiden kann.

Aber es macht mir Spaß, mich auf den internationalen Courts herumzutreiben und meine Augen mit der menschlichen Schönheit zu füllen, die dort kaleidoskopisch durcheinander flittert.

Es mag wohl an die zwanzig Jahre her sein, da hatte die Sportwelle einen kleinen Spritzer bis nach Luxemburg geworfen. Auf dem Glacis hinter dem Garten der Pescatorestiftung hatten ein paar Herren und Damen ihr Netz gespannt und schlugen ihre Bälle hinüber und herüber, in mehr, gotischen als flachen Bogen. Es war ein Aufruhr. Man denkel Damen, richtige Damen, junge und zum Teil hübsche Damen sprangen öffentlich, vor aller Augen, in fußfreten Kleidern einher und fuchtelten, wie verrückt, mit Dingern herum, die man sonst nur in den Händen von Kindern gesehen hatte! Taten das ohne jegliches Gefühl dafür, daß sie lieber zuhause sitzen, Spitzen häkeln und bösartige Liebenswürdigkeiten über ihre Bekannten sagen sollten.

Heute flutet die Welle breit herein.

Auf den Plätzen des Sporting Club wird in diesen Tagen ein Tennis-Turnier ausgetragen, und Spieler wie Spielerinnen dürfen sich sehen-lassen Man kann dort Schläge bewundern, die einem Schiedsrichter in Baden-Baden imponieren würden.

Haben Sie sich schon gefragt, warum die Tennisspieler, trotz der Gewaltsamkeit mancher Bewegungen, so durchweg schön wirken? Ich gebrauche dafür gern das vollsaftige, anspruchsvolle Wort „schön“. Denn in der Anmut dieses Schauspiels ist Klasstzität. Sie liegt darin, daß wir beim Tennis den Menschenfuß fast in seiner natürlichen Form, in der Zweckmäßigkeit seines Baues bewundern. Wir haben uns gewöhnt, Fuß zu sagen und Schuh zu denken. Und was erinnert an dem Pariser Stöckelschuh einer spitz dahinstelzenden Dame denn noch an den Menschenfuß?

Den sehen wir auf dem Tennisplatz fliegen, tanzen, sich elastisch heben, sich wuchtig abstoßen, wie auf klassischen Bildwerken, und das gibt den Bewegungen zumal der Tennis spielenden Frauen und Mädchen die ernste Anmut, das wundervoll Ursprüngliche, das von ihnen abfällt, sobald sie ihre Füße der scheußlichsten Errungenschaft der Kultur, der mühsamen Zierlichkeit des Stöckelschuhs zulieb verunstalten.“

TAGS
  • Sport
KatalognummerBW-AK-012-2660