Original

28. Mai 1924

Ein Weinsticher - so nennen sie im Elsaß die raffinierten Weinzungen - findet seinen Genuß und seinen Ruhm darin, den Wein zu proben und nach Jahrgang und Lage zu bestimmen. Er führt das Glas an die Nase, zieht bedächtig den seinen Duft in die Rüstern, nimmt eine Zungenspitze voll in den Mund, kaut daran, läßt sich die Gaumenhöhle davon bespülen, bläst die Blume nochmals von hinten durch die Rase und weiß nun: das ist Winkler Hosensprung 1895, oder Rüdesheimer Engerweg 1908, oder dieser angebliche Grevenmacherer 1921 ist ein schwerer, verräterischer Pfälzer, oder es ist Pfälzer mit Lenninger verschnitten usw.

Es gibt auch (philologische Weinsticher. ) Sie freuen sich, bei jedem Unbekannten, den sie reden hören, nach der Sprache die Gegend zu bestimmen, in der er heimisch ist.

Wir haben bekanntlich vier Hauptkreszenzen unseres Dialekts: Mosel, Sauer, Alzette, Östing. Wer als Kind im Bereich einer dieser Untermundarten aufgewachsen ist, dessen Sprache wird bis ans Ende mit deren geheimsten Merkmalen behaftet bleiben. Das hängt nicht mit Gewohnheit oder Willen zusammen, sendern liegt daran, daß gewisse Leute sich schon beim lallenden Kind Zunge und Gaumen nach ihrer Bequemlichkeit formen. Es steht fest, daß ein englischer Gaumen in seiner äußeren Gestaltung andere Formen aufweist, als ein französischer, und daß diese Gestaltung beiden durch die Besonderheit gewisser Leute eingeschliffen ist. Das mächst nie mehr aus. Es liegt nahe, daß die relative Seltenheit sonorer Stimmen bei uns durch die Anpassung des ganzen Stimmapparats an die dumpfen, korrepten Laute unserer Mundart bedingt ist, wogegen man sehr wohl annehmen darf, daß umgekehrt das klangvolle Italienisch auf die Häufigkeit prachtvoller Organe im Vaterland Caruso’s einen bestimmenden Einfluß hat. In diesem Sinn hat das Sprichwort: Sprich, wie dir der Schnabel gewachsen ist - direkt anatemische Bedeutung.

Nun denken Sie sich einen Mann, dem die heimische Sprache mehr ist, als ein Ausdrucksmittel, der sie als ein kostbares nationales Gut, als die Zeugin geheimnisvollster Zusammenhänge verehrt, und der einer Probe daraus gegenüber steht, wie der Weinsticher einer Flasche Wein. Ein reines Echternacher, Remicher, Clerfer, Frisinger ist relativ leicht zu bestimmen. Aber es gibt die Mischungen, die Verschnitt-Dialekte. Da beginnt der Reiz. Im Karneval zum Beispiel redet Sie eine schöne Maske an. Sosort beginnt das Raten: Dies eigentümlich gerollte r, wo haben Sie das schon gehört? Und dazu sagt die schöne Maske auch noch ein paarmal: Do erobberen. - Das heißt natürlich „da hinauf“. Positiv: do erobb, Komparativ: do erobber, Superlativ: do erobberen. Das deutet auf den Kanton Mersch. Und eins kommt zum andern, bis Sie die schöne Maske eingekreist haben und auf das Wohl ihrer engeren Heimat eine Flasche mit ihr trinken.

Die Mosel ist für den Binnenländer eine Gegend, in deren Sprache kein Unterschied festzustellen ist. Und doch klingen zwischen Schengen und Wasserbillig tausend Nüancen. Spitzt die Ohren, und Ihr werdet schon von Ehnen ab merken, wie die Sauer mählich in die Mosel fließt. Und wenn je im Karneval ein weiblicher Domino, der zwischen Ehnen und Wasserbillig zuhause ist, sich mir nähern sollte, so würde ich ihm sagen: Mädel, dein r verrät dich. Denn wenn einer meinetwegen in Mertert aufgewachsen ist, so mag er nachher sein ganzes Leben im Herzen des Landes leben, seine Zunge wird das r seiner Kindheit nicht mehr los. Und wenn ein anderer Domino zu mir sagte: „Komm, mer füeren hem,“ so würde ich fragen: „Wat get dann Neis zu Bissen?“ Und wenn einer sein r ganz weich hinten im Gaumen bildete, fast wie im Englischen, so würde ich ihn sofort nach Echternach lokalisteren, auch wenn er nicht ein einziges Mal Gechterno@ch und Prosil@opseekel- chen gesagt hätte.

Aber das sind alles grobe Buchstaben, der Dialekt weinsticher kennt noch ganz andere Feinheiten.

TAGS
  • Wein
KatalognummerBW-AK-012-2669